So geschehen hinter dem Torbogen des Schlossplatzes unter der Burgruine Alt-Hohenems. Dort entsteht derzeit das alte Stadtzentrum neu und als Teil dieser Entwicklung liegt der ortsbaulich markant positionierte Verdichtungsbau von MWArchitekten an einer landschaftlich interessanten Stelle. Er ersetzt einen hölzernen Zubau, der im Jahr 2020 abgebrannt ist. Der markante Giebelknick ergab sich vorrangig aufgrund des Baurechts.
Eigentlich sollte auf dem 540 m2 großen Grundstück ein Mietobjekt mit unter 100 m2 entstehen. „Da habe ich der Bauherrschaft offen gesagt, dass ich nicht hinter diesem Plan stehen kann, und gefragt, ob ich einen Vorschlag für ein größeres Volumen machen dürfe“, erklärt Lukas Peter Mähr von MWArchitekten den Entwurfsbeginn. Die Idee stieß auf Anklang bei der Bauherrschaft und auch bei den Verantwortlichen der Stadt rannte Mähr offene Türen ein. Im Dialog mit der Stadt und dem Gestaltungsbeirat „schnitzte“ der Architekt den Holzbau auf 100m2 Grundfläche zurecht, soweit es baurechtlich möglich war. Bis zum Knick im Giebel befindet sich das Objekt in der Bestandskubatur, darüber hinaus wird dieses nach dem Baurecht geformt. Was den Giebelraum des dritten Obergeschoßes in puncto Raumhöhe und Ausblick einzigartig macht. Auch innen wird die außergewöhnliche Form in dem derzeit als Büro genutzten Raum erlebbar. „Wir denken unsere Projekte generell in Szenarien“, ergänzt Mähr, der damit die mögliche Nach- oder Umnutzung der beiden oberen Geschoße anspricht. Alle haustechnischen Anschlüsse, die für eine Wohnraumnutzung notwendig sind, sind auch im obersten Stock vorhanden. Unter dem Büro liegt eine Wohnungen mit 80 m2 Wohnfläche. Im Erdgeschoß findet sich eine weitere mit 100 m2. Daneben steht der Erschließungskern, der als Verbindungstrakt dient. Dieser folgt der Dachkontur des Bestandes.
Weitergebaut, weitergedacht
Bei der Nachverdichtung handelt es sich um einen Holzrahmenbau ab Bodenkante mit Massivholzdecken. Treppenauge und -stufen sind aus statischen und schallschutztechnischen Gründen betoniert. An der Trennwand zum Nachbarsgebäude besteht ein hybrider Übergang, da auf die Gegebenheiten der bestehenden Natursteinmauer reagiert werden musste. Darüber hinaus arbeitete man mit Lehmbauplatten, lediglich in den Nasszellen kommt Gipskarton vor. „Wenn Bauherren auf den Bestand Wert legen, dann sind das jene, die auch empfänglich für weitere ökologische Baustoffe, wie beispielsweise Lehm, sind“, spricht Mähr aus Erfahrung. Und auch der ausführende Holzbau-Meister, Dietmar Berchtold, findet die Kombination stimmig: „Die Synergie von Holz und Lehm ist nicht nur nachhaltig, sondern schafft auch eine Umgebung, die Naturverbundenheit und Effizienz vereint. Eine gute Wahl für eine umweltfreundliche Bauweise.“ Die Trittschalldämmung funktioniert klassisch über einen schwimmenden Estrich. In den Innenräumen liegt ein heimischer Esche-Boden. Darüber hinaus wurde beim Innenausbau viel Holz eingesetzt. Aufgrund hoher Anforderungen benötigte es Expertise, die glücklicherweise regional vorhanden war. Im Innenausbau herrschte eine Sorgfalt, die so weit ging, dass das verwendete Holz nicht nur von selber Art war, sondern gar vom selben Baum kam und zur Fertigung in verschiedene Gewerke geliefert wurde. „Das geht wirklich nur mit regionalen Unternehmen. Und diesen Einsatz sieht man dann auch.“ Das Objekt verfügt über das Vorarlberger Umweltlabel „Holz von Hier“, das die überdurchschnittlich kurzen Wege über die gesamte Lieferkette hinweg dokumentiert.
In das kreative Denken geleitet
Nach striktem Baurecht wäre das Verdichtungsprojekt in dieser Form gescheitert. Aber: „In Vorarlberg gibt es das Tool der Abstandsnachsicht. Jeder Nachbar kann sein Einverständnis geben, auf den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestabstand verzichten zu wollen. Natürlich nur bis hin zum brandschutzrelevanten Limit. Diese Möglichkeit ist essenziell für verdichtetes Bauen. Wir benötigen diese Einwilligungen für fast alle Projekte unseres Büros“, erklärt Mähr. So auch bei dem Projekt im Alten Quartier. Für Mähr war jenes nicht das erste Bestandsprojekt. Ganz im Gegenteil: Fast jedes seiner Projekte berührt Bestand in irgendeiner Form. Darüber hinaus ist ökologisches Bauen für ihn innerhalb der sinnvollen Grenzen Pflicht.
„Zu mir braucht keiner kommen, der ein Haus in Sichtbeton oder ein Styropor-Wärmedämmverbundsystem will“, sagt der Architekt. Er liebt die Herausforderung, vom Bestand in ein noch kreativeres architektonisches Denken geleitet zu werden. „Dadurch entstehen Räume, an die man ansonsten gar nicht gedacht hätte.“ Selbstverständlich birgt das Bauen im Bestand einen Mehraufwand, den aber nach eigenen Angaben keiner der Beteiligten scheut. So ist sich der ausführende Holzbauunternehmer Dietmar Berchtold sicher: „Die Sanierung oder Modernisierung bestehender Gebäude ist nachhaltiger als der Neubau, da bereits vorhandene Ressourcen genutzt werden und weniger Abfall entsteht. Zudem können sie langfristig kosteneffizienter sein als der Neubau.“ Müsste er den Geschäftsanteil schätzen, der in seinem Unternehmen auf Arbeiten im Bestand fällt, liegt dieser derzeit bei 70 %. Vormals machte jenes Feld die Hälfte seiner Unternehmenstätigkeit aus.
Wer will seinen Besitz teilen?
Weder der Architekt noch der Holzbauunternehmer fürchten sich also vor dem Bestand. Warum passiert aus ihrer Sicht dann nicht mehr in diesem Bereich? Mähr ist auch für das Energieinstitut Vorarlberg als Sanierungsvorberater und Partnerbetrieb tätig. Dadurch erhält er Einblick in die Bestandssituation des Landes. Bei Verdichtungsprojekten und rund um das Thema Mehrgenerationenwohnen verortet der Architekt ein Hindernis in dem Willen der Eigentümer. „Seinen eigenen Besitz, den Grund und Boden, mit anderen zu teilen, fällt vielen schwer.“ Was innerhalb der Familie schon oft funktioniert, stockt in der breiten Masse noch. „Das Thema Mehrgenerationenwohnen, das gerade allen unter den Nägeln brennt, hätte enormes Potenzial.“ Aber Mähr ist sich sicher: Die Architektur könne Anreize schaffen, gar zu einem Benefit im sozialen Miteinander führen. Beispiele der Architekturgeschichte belegen diese Auffassung immer wieder. Und welche Rolle spielt dabei der Holzbau? Eine Große, sind sich beide sicher. Sowohl atmosphärisch, als auch gestalterisch. „Geht es um den Teilbereich Aufstockung, kommt man am Baustoff Holz sowieso nicht vorbei“, ist Mähr überzeugt. Das Feld für den Holzbau ist demnach auch in Zukunft vielfältig und groß.
Projektdaten
Standort: Hohenems
Fertigstellung: 2023
Bauherr: Miriam und Klaus Peter
Architektur: MWArchitektur
Ausführung: dr‘ Holzbauer
Statik: Martin Fetz
Bauphysik: Weithas Bauphysik
Tischlerarbeiten: Tischlerei Künzler; Tischlerei Andreas Walch
Fenster: Isele Fensterbau
Holzmenge: 42 m3
Holzarten: Fichte, Weißtanne (Innenausbau und Fassade), Esche (Böden)