Das heute als „Dorf Nest“ bekannte Gebäude in Wolfurt wurde bereits vor rund 300 Jahren als klassisches zweigeschoßiges Bauernhaus mit Schopf, Flurküche in der Mitte und beiderseitig anschließenden Zimmern errichtet. Es handelt sich dabei um ein sogenanntes Rheintalhaus. Die traditionelle bäuerliche Hausform in der Region wird abseits vom Grundriss durch Blockbauweise, geschindelte Fassaden, ein gemauertes Kellergeschoß sowie paarweise angeordnete Fenster charakterisiert.
Bestand erhalten und vielfach adaptiert
Im Laufe der Jahre durchlief das Dorf Nest zahlreiche Transformationen: 1991 wurde der Stadel von Helmut Dietrich und Much Untertrifaller in einen Kindergarten umgebaut. 2002 fand die Sanierung des Haupthauses statt, das fortan als Spielzeug- und Puppenmuseum genutzt wurde. 2015 kam zum ersten Mal das ebenfalls in Wolfurt ansässige Architekturbüro querschnitt ins Spiel und das vormalige Bauernhaus wurde zum Ordinationsgebäude. 2022 wiederum begannen querschnitt architekten mit der Umplanung hin zur Kleinkindbetreuung. Bei ihrer Adaption legten die Vorarlberger besonderes Augenmerk auf eine respektvolle Weiterentwicklung des Bestands, die dennoch den passenden Raum für die aktuellen Anforderungen bietet.
„Ein Berg an Ausnahmegenehmigungen“
„Um ein Gebäude über 300 Jahre hinweg durch die diversen Vorschriften mitzutragen, braucht es die Zusammenarbeit und den guten Willen aller Beteiligten“, erzählt Simone Burtscher, Gründungsmitglied von querschnitt architekten. „Wir haben gut überlegt, ob wir das Projekt machen wollen, und dann bereits früh in der Konzepterarbeitung mit den Verantwortlichen und Beteiligten gesprochen. Die Zusammenarbeit hat sich sehr lösungsorientiert und entspannt gestaltet. Nur so funktioniert es, denn wir haben einen ganzen Berg an Ausnahmegenehmigungen einholen müssen“, fügt sie hinzu. Ihr Kollege und Mitgründer des Büros, Reinhard Weber, ergänzt: „Zuvor wurde das Gebäude von einer Ärztegemeinschaft genutzt. Bei einer Raumhöhe von 1,9 bis 2 m ist nicht mehr alles möglich, große Patienten mussten zum Beispiel zwischen den Balken auf die Waage steigen. Für die Funktion der Kleinkindbetreuung hingegen sind diese Umstände optimal, weil die Dimensionen maßstäblich sind.“
Optimale Bedingungen im Rheintalhaus
„Rheintalhäuser haben eine stabile Grundstruktur, die sich aus einer Flurküche mit gut proportionierten angrenzenden Zimmern zusammensetzt“, weiß Burtscher. Das sei ideal für Kleinkindergruppen, habe aber auch gut für Ordinations- oder Ausstellungszwecke gedient. „Eine einfache, klare Struktur ist eine gute Voraussetzung, damit ein Gebäude über eine so lange Zeit bestehen kann“, fährt sie fort. Und nicht nur der Grundriss, auch die Bausubstanz bietet optimale Voraussetzungen, wie die Architekten weiter ausführen: „Die Faszination am Baustoff Holz ist merkbar. Jeder, der das Gebäude betritt, fasst das Holz an. Es ist schön, wenn die Kleinsten unserer Gesellschaft schon damit heranwachsen, und auch das pädagogische Personal war von Anfang an Feuer und Flamme für das Projekt. Man wollte die Kinder nicht in irgendein Gebäude stecken, sondern in eine Ganztagsbetreuung, deren Atmosphäre an die eines Einfamilienhauses angelehnt ist.“
Neues Geschoß rundet Gesamtkonzept ab
Während der Bau als Ordination diente, war das Dachgeschoß aufgrund der schallschutztechnischen Anforderungen für diesen Zweck nicht nutzbar. Doch querschnitt architekten haben aus der Not eine Tugend gemacht: Da das Platzangebot durch den überhohen Empfangsbereich stark beschränkt war, zogen sie eine zusätzliche Decke ein, über der ein Schlaf- sowie ein Spielraum entstanden sind. „Mit einer Raumhöhe bzw. Dachschräge von 0 bis 2,5 m ist das ein extrem angenehmer, aber auch interessanter Raum für die Kinder – denn sie können die Decke angreifen“, erzählt Weber. Für solche Maßnahmen sei die Holzbauweise prädestiniert, denn die Decke konnte mit einfachen Mitteln und ohne das Dach aufzumachen eingezogen werden, so der Architekt. Verlegt wurde die gehobelte Balkendecke mit Nut und Kamm von Steurer Holzbau aus Buch. Die Zimmerei war auch für alle weiteren Holzbauarbeiten zuständig: Einerseits wurde die Wand aufgeschnitten und ein Fenster hinter der Fassade installiert, andererseits baute man ein neues Dachfenster ein.
Natürliche Materialien sorgen für Begeisterung
„Gegen Ende des Umbaus war klar: Es riecht nach Holz. Doch nun kommt das pädagogische Material, welches vielfach noch aus Kunststoff angeboten wird und dementsprechend riecht. Ein schöner Wendepunkt für uns war hier, als wir die Freigabe bekamen, die Wickelauflagen, Pölster und Teppiche in Kork fertigen lassen zu dürfen. Gemeinsam mit den Pädagoginnen haben wir ausgearbeitet, was gebraucht wird. Haptik und Geruch waren hier die entscheidenden Faktoren“, erinnert Burtscher. Auch für die Schüttspiele sowie Mobiliar und Einbauten kam Holz zum Einsatz, maßgefertigt vom örtlichen Tischler. Die Bestandstüren wurden erhalten. Neue Türen kamen nur dort zum Einsatz, wo neue Raumabschlüsse erforderlich waren. Für die Absturzsicherungen nutzte man Metallgewebe, das zudem die Transparenz des Gebäudes erhöht. Generell orientierten sich die Planer am pädagogischen Konzept des offenen Hauses, das sowohl Transparenz als auch Rückzugs- und Ruhebereiche bietet und die Kleinkinder so in selbst initiierten und -gesteuerten Situationen begleitet werden können.
„Im Dachgeschoß ist alles in Tanne gehalten. Einzig die Linoleumböden wurden im Konzept und schlussendlich in der Ausführung übernommen, da bereits durch die Ärztenutzung Räume mit Linoleum vorhanden waren“, erläutert Weber. Neben großteils natürlichen Materialien setzt man beim Dorf Nest zudem auf Lowtech. „Bei den Kastenfenstern wurde als Ersatz für die mechanische Lüftung ein Öffnungsbegrenzer konzipiert, um eine gute und zugleich kindersichere Durchlüftung zu gewährleisten“, erklärt Burtscher.
So kommt das Prinzip des Free Cooling – sprich eine Kühlung bzw. Lüftung ohne Energieaufwand – zum Einsatz, welches zusätzlich über das neu eingebaute Fenster hinter der Fassade verstärkt wird. „Am Ende ist das Gebäude hinsichtlich seiner Erhaltungskosten sehr wirtschaftlich“, schließen die Planer.
Projektdaten
Standort: Wolfurt
Fertigstellung: September 2023
Bauherr: Marktgemeinde Wolfurt
Architektur: querschnitt architekten
Holzbau: Steurer Holzbau
Statik: Gaisberger
Gebäudenutzfläche: Dorf Nest: 245 m²,
KIGA Dorf: 260 m², Mehrzweckräume: 105 m²