Laut Museumsdirektor Prof. Dr. Gunter Schöbel ist das Pfahlbaumuseum in Unteruhldingen mit jährlich über 300.000 Besuchern eines der erfolgreichsten Museen Deutschlands. Dort können neben Fundstücken auch 23 Pfahlbauten erlebt werden, die jenen aus der Stein- und Bronzezeit nachempfunden sind. Deren Überreste liegen dabei im angrenzenden Bodensee unter Wasser. Im Juni 2024 wurde schließlich der rund 1300 m² große Erweiterungsbau eröffnet, der nicht nur ein modernes Besucherzentrum, sondern auch eine neue Ausstellung zum UNESCO-Weltkulturerbe der Pfahlbauten umfasst.
Historische Metaphern in die Moderne übersetzt
Die Galerie wurde mittels Zugstangen vom Dach abgehängt. Holz dominiert den gesamten Innenraum. © Werner Huthmacher
Für die Museumserweiterung wurde 2018 ein Wettbewerb ausgeschrieben, den a+r Architekten aus Stuttgart und Tübingen für sich entscheiden konnten. Das ausgehende Motiv für deren Konzept war dabei ein Einbaumboot aus der Bronzezeit, das im Winter an Land gezogen und umgedreht wurde, um darunter zum Beispiel Werkzeug geschützt lagern zu können. Daraus entstand ein Langhaus mit trapezförmigem Satteldach, das nun seine schützende Hülle über die Ausstellungsstücke im Inneren stülpt.
Bei Größe, Dichte, Struktur sowie Dachform orientierten sich die Architekten an der gebauten Umgebung, um das Gebäude harmonisch darin einzubetten. Der rund 45 m lange und 12,5 m hohe Neubau dockt an der Westseite direkt an den Bestand an. Dieser nimmt die gesamte Haustechnik und die neu gestalteten Sanitärräume auf, wodurch die neue Ausstellungshalle nach dem Prinzip des „einfachen Bauens“ in Lowtech-Bauweise realisiert werden konnte. Im Zuge der Erweiterung wurden am Bestandsdach zudem Photovoltaikpaneele installiert. Der Haupteingang befindet sich nun am neu gestalteten Museumsvorplatz. An der Seeseite ist das Gebäude etwas zurückversetzt, damit die nachgebauten Pfahlbauten ihre volle Wirkung entfalten können. So entstand zugleich ein neuer, attraktiver Freiraum mit Seeterrasse.
Gestaltungselement (Dach-)Konstruktion
Die unterspannten Brettschichtholz-Träger wurden im Abstand von 1,6 m angeordnet. Die tragende Rahmenkonstruktion geht in vertikale Stützen über, zur Aussteifung dient eine scheibenartige Zwischendecke. © Werner Huthmacher
Das Fundament für das Museum bilden – wie könnte es auch anders sein – 81 Pfahlgründungen, die bis zu 20 m in den Seegrund reichen. Für die Außenwände kamen vorgefertigte Brettsperrholz-Elemente zum Einsatz, das offene Dachtragwerk wurde in Rahmenbauweise errichtet. Die Holzrahmen bestehen aus gekreuzt unterspannten Brettschichtholz-Trägern in unbehandelter, heimischer Fichte, jeweils in einem Abstand von 1,6 m. Die tragende Rahmenkonstruktion geht in vertikale Stützen über, zur Aussteifung dient eine scheibenartige Zwischendecke. Das Haus wurde in der Mitte, wo die Besucher aus dem Empfangsannex eintreten, verbreitert. Zu den großzügig verglasten Giebelseiten hin verjüngt sich das Gebäude. Dadurch verdreht sich das Dachtragwerk und erzeugt eine spannende Symmetrie. Die Galerie wurde mittels Zugstangen vom Dach abgehängt. Eine weitere Besonderheit: Da unter dem Empfangsbereich des Erweiterungsbaus zwei öffentliche Abwasserleitungen verlaufen, wurde das Foyer nur mit untergeordneten Bauteilen überbaut, die im Bedarfsfall rasch demontiert werden können.
Die Verkleidung des Langhauses und Empfangsgebäudes aus vorvergrauten Kanthölzern in Lärche ist eine weitere optische Anlehnung an die umliegenden Pfahlbauten. Die Fenster- und Öffnungsflügel sind in der Farbe Bronze gehalten, der Fußboden im Erdgeschoß besteht aus geschliffenem Estrich mit Zuschlägen vom sandigen Seeboden. Die Dachelemente mit Weißtannen-Untersicht und Akustikprofil lieferte Lignotrend, errichtet wurde die Erweiterung von Holzbau Amann aus Weilheim-Bannholz im deutschen Baden.
Schlüssiges Raumkonzept leitet Besucher
Das Gebäude von a+r Architekten fungiert als Entrée: „Mit einer emotionalen und atmosphärischen Rauminszenierung stimmt es auf die Faszination Pfahlbauten ein und bietet gleichzeitig den Raum, das Gesehene im Rundgang zu vertiefen und aus neuen Perspektiven zu entdecken“, erklärt Schöbel. Auf Höhe der Lichtskulpturen und Galerie schwebt ein nachgebauter Einbaum, der die Geschoße symbolisch in „unter und über Wasser“ trennt. So werden im Erdgeschoß Originalfunde aus dem Bodensee präsentiert, Lichtinstallationen erzeugen einen Welleneffekt am Fußboden. Dadurch wird dem Besucher das Gefühl vermittelt, er befände sich eben „unter Wasser“. Die abgehängte Galerie dokumentiert wiederum die Geschichte des Museums und neue Forschungserkenntnisse. Vom Erdgeschoß werden die Besucher in weiterer Folge in das 2013 in Betrieb genommene Archaeorama weitergeführt, das im Zuge der Erweiterung rundum erneuert wurde. Eine 360 Grad-Multimediashow präsentiert hier die unter Wasser befindlichen Überreste der Pfahlbauten und gibt einen Einblick in das Leben in der Stein- und Bronzezeit. Von dort geht es schließlich weiter in den Außenbereich.
Übrigens: Im Zuge des Wettbewerbs 2018 entwickelten a+r Architekten bereits einen zweiten Bauabschnitt. Östlich der Erweiterung soll dort zukünftig eine weitere, quasi gespiegelte Ausstellungshalle entstehen.
Projektdaten
Standort: Uhldingen-Mühlhofen, DE
Bauherr: Verein für Pfahlbau- und Heimatkunde e.V.
Bauzeit: November 2022 bis Mai 2024
Architektur: a+r Architekten aus Stuttgart und Tübingen
Holzbau: Holzbau Amann
Tragwerksplanung: merz kley partner
Holzlieferant: binderholz, Lignotrend
Holzmenge: 274 m³ (Konstruktion), 800 m² Deckenelemente
Bruttogeschossfläche: 1530 m²