Radikal aus Kinderperspektive entwickelt

Ein Artikel von Birgit Gruber | 05.03.2025 - 08:48
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© Max Kropitz

Gemeinsam mit dem Land Niederösterreich gab St. Pölten im September 2017 seine Bewerbung um den Titel zur Europäischen Kulturhauptstadt 2024 bekannt. Über eine endgültige Vergabe entschied eine internationale Jury im November 2019. Die Wahl fiel auf die Kaiserstadt Bad Ischl. Dennoch hielt die Landesregierung an ihrem kulturellen Schwerpunkt fest. Ein Aushängeschild ist mit Sicherheit das KinderKunstLabor, das im Vorjahr eröffnet wurde. Mit dem Holzhybridgebäude erhielt die Stadt ein zeitgenössisches Ausstellungshaus. Es verfolgt einen interdisziplinären Ansatz und umfasst ein breites Spektrum an Kunstformen. Entworfen von Schenker Salvi Weber Architekten, tritt das Gebäude mit seiner markanten Form als Leuchtturm auf dem Weg von der historischen Altstadt zum Kulturbezirk in Erscheinung. Drei jährliche Ausstellungen und ein vielfältiges Workshop- und Projektangebot richten sich besonders an ein junges Publikum bis 12 Jahre. Zudem bietet es eine interaktive, textile Kletterinstallation, ein Café im Gebäude sowie mit dem neu gestalteten Altoonapark einen Ort für alle Altersgruppen, um sich in einem offenen und kreativen Umfeld auszutauschen.

Gemeinsam mit Kinderbeirat entwickelt

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© Max Kropitz

„Das KinderKunstLabor ist ein wunderbares Projekt, weil es genau dort ansetzt, wo in den kommenden Jahren eine sdfgroße kulturpolitische Herausforderung auf uns wartet: nämlich, das Kulturpublikum von morgen zu erreichen. Kulturelle Bildung ist eine Grundvoraussetzung für das Interesse an Kunst und Kultur und ein Schlüssel zur Förderung von Kreativität, kritischem Denken und interkulturellem Verständnis. Deshalb muss sie ab der frühesten Kindheit gefördert werden, und dafür steht das Gebäude“, sagt Kunst- und Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer. Das Gebäude verfolgt also einen wichtigen Ansatz und der sollte sich auch in seiner Architektur präsentieren, bei welcher die Planer ihrer Kreativität freien Lauf gelassen haben. „Für uns eine spannende Bauaufgabe, da völlig unklar war, was das Haus wirklich sein sollte. Insofern hatten wir viel Interpretationsspielraum. Wir haben sehr früh ein Modell entwickelt, um das Projekt räumlich und strukturell darzustellen. Seitens der Auslober sprach man immer von sogenannten Möglichkeitsräumen”, erzählt Michael Salvi, Gründungsmitglied des Architekturbüros in der Wiener Schottenfeldgasse. Man habe das Haus radikal aus der Kinderperspektive entwickelt. Besonders bemerkenswert an diesem Projekt ist die aktive Einbindung eines Kinderbeirats, der aus Kindergarten- und Schulgruppen bestand. Dieser war von Anfang an in die Planung und Gestaltung der Ausstellungsräume sowie des Parks eingebunden und tauschte sich regelmäßig mit den Architekten und Künstlern aus. So entstand eine Architektur, die ökologisch nachhaltig, gestalterisch ambitioniert und partizipativ ist, wobei die Bedürfnisse von Kindern gezielt berücksichtigt wurden.

Hinauf in die Baumkronen

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Im dritten Obergeschoß lädt die Präsenzbibliothek mit ausgewählten Kinder- und Jugendbüchern ein, sich zurückzuziehen. © Patrick Johannsen

Die Bäume des Altoonaparks sind für das Projekt existenziell, sie erzeugen ein angenehmes Mikroklima und bereichern das Erleben im Park. Daher wurde der Baumbestand weitestgehend erhalten und durch Neupflanzungen ergänzt. Als Form für das Ausstellungshaus wählten die Architekten ein Dreieck mit sechs Ecken, das sich am Rande des Parks turmartig über vier Ebenen in die Höhe streckt. An allen drei Seiten knickt die Fassade leicht nach innen. Ursprünglich als reiner Holzbau konzipiert, stellte sich das Tragwerk im weiteren Verlauf als nicht wirtschaftlich heraus. „Deshalb erarbeiteten wir in Zusammenarbeit mit den Tragwerksplanern von Werner Sobek eine neue Lösung: Eine zentrale Baumstütze aus Beton in der Mitte des Gebäudes, von deren Stamm sechs Äste ausgehen, die die Lasten figurativ ableiten. Der zentrale Kern mit der Stütze beherbergt das Raumprogramm, um das sich ein Erschließungstrakt über die gesamte Gebäudehöhe nach oben windet – die sogenannte Helixtreppe: ein großzügiger Möglichkeitsraum zum Basteln, Toben, Werken und Ausstellen“, berichtet Salvi. 

Die Treppe ist ein Ort des „Dazwischen“, der zum Verweilen einlädt und damit einen bewussten Übergang zum Ausstellungsraum schafft. Tragende Holzstützen am dreiecksförmigen Rand begleiten die Besucher bis ganz nach oben. Die Holzlamellen an der Fassade dienen als konstruktiver Sonnenschutz und geben tolle Ausblicke in die Kronen der 25 m hohen, mächtigen Bäume. „Von außen verleiht das Holzlamellenkleid dem Gebäude Leichtigkeit und Offenheit. Die verglasten Bereiche sind als Holz-Pfosten-Riegel-Fassade ausgeführt“, weiß der Architekt. 

Holz kann viel leisten. Der Ökologische Baustoff kann aber auch wahnsinnig viel im Verbund mit anderen Materialien bewältigen. Gerade beim Bauen mit Holz in der Stadt müssen wir diesbezüglich ein wenig umdenken.

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Michael Salvi, Architekt
© Michael Jäger

„Holzbau hat sich entspannt“

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Die Holzlamellen an der Fassade dienen als konstruktiver Sonnenschutz und geben tolle Ausblicke in die Kronen der 25 m hohen, mächtigen Bäume. © Patrick Johannsen

Strukturell begegnen sich im KinderKunstLabor also zwei Welten, Holz und Beton. Zwei Baustoffe, die laut Salvi beide ihre Berechtigung haben und in Kombination tolles Schaffen können. In der Lehre des Schweizers war der traditionelle Holzbau schon immer verankert, wie er erzählt. Er spüre diesbezüglich jetzt aber eine deutliche Entspannung. Wie er das meint? Sehr pragmatisch: „Holz kann viel leisten. Der ökologische Baustoff kann aber auch wahnsinnig viel im Verbund mit anderen Materialien bewältigen. Gerade beim Bauen mit Holz in der Stadt müssen wir diesbezüglich ein wenig umdenken. In den vergangenen Jahren ist in der Baustoffindustrie eine viel dynamischere Denkweise entstanden und die Forschung hat in Richtung hybride Elemente so einiges weitergebracht. Das begrüßen wir sehr, denn wir wollen bei unseren Bauaufgaben immer das beste Tragwerk finden, CO2 reduzieren und an die Kreislaufwirtschaft denken.“

Kunstvolles Netz zum Klettern

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Ein Teilbereich der Terrasse ist mit einer Installation der international renommierten Künstlerin Toshiko Horiuchi MacAdam gestaltet, die sich über zwei Stockwerke zieht. Es handelt sich dabei um ein großes Netz zum Klettern, das sich wie ein Labyrinth in die Architektur einfügt. © Patrick Johannsen

Das pure Holz im Inneren schafft Ruhe und eine Wohlfühlatmosphäre. Es gibt den Kindern ein Gefühl von Geborgenheit, das den oft hektischen Schulalltag schnell vergessen lässt. Zusätzlich bietet das Erdgeschoß reichlich Raum, um anzukommen, durchzuatmen, zu schauen und sich hinzusetzen. Ein großer Bereich lädt zum Spielen ein. Kinder im Vorschulalter können dort gemeinsam mit ihren Eltern und Großeltern interaktive Gestaltungsareale aus organischen Erhebungen und textilen Elementen erleben. Für künstlerische Workshops und Projekte gibt es zwei große atelierartige Labore im zweiten Stock. Kinder, aber auch Erwachsene, können hier mit Künstlern und Kunstvermittlern ihren Erfindungsreichtum und ihre Vorstellungskraft umsetzen. „Die Labore grenzen an eine großräumige, zweigeschoßige Terrasse. So können im Sommer viele Workshops und Projekte draußen an der frischen Luft durchgeführt werden.

Ein Teilbereich der Terrasse ist mit einer Installation der international renommierten Künstlerin Toshiko Horiuchi MacAdam, gestaltet, die sich über zwei Stockwerke zieht. Es handelt sich dabei um ein großes Netz zum Klettern, das sich wie ein Labyrinth in die Architektur einfügt“, weiß Salvi. Im dritten Stock werden Kinder- und Jugendbücher präsentiert. Hier können sich Besucher zum Lesen und Ausruhen zurückziehen. Orientiert an den Themen der Projekte und Ausstellungen des KinderKunstLabor, werden in der Präsenzbibliothek aktuelle Publikationen gezeigt und vermittelt. 

Projektdaten

Standort: St. Pölten
Bauherr: Land Niederösterreich sowie Stadt St. Pölten
Bauzeit: November 2022 bis Juni 2024
Architektur: Schenker Salvi Weber
Holzbau: Zimmerei Wutzl
Tragwerksplanung: Werner Sobek
Bauphysik: Schöberl & Pöll
Brandschutz: IMS Brandrat
Holzarten: Fichte im Erdgeschoß und Lärche in den Obergeschoßen
Nutzfläche: 2573 m²