Falls Sie, geschätzter Leser, jetzt einen Ohrwurm haben, dann sehen Sie es positiv. Besser einen Wurm im Ohr als einen im Holz. Aber jetzt Spaß beiseite. Holz spielt nämlich beim vorliegenden Bauprojekt eine tragende Rolle und soll aufzeigen, dass leistbares Wohnen und klimafreundliches, ressourcenschonendes Bauen keine Gegensätze sein müssen, sondern Hand in Hand gehen. Der Platz für die Realisierung liegt an der Rechten Mürzzeile in Kapfenberg-Diemlach nahe an der Natur. Seit Herbst 2017 entsteht dort ein moderner und für alle Generationen lebenswerter neuer Stadtteil namens „Riverside“. Zwei der drei Bauabschnitte sind bereits abgeschlossen, vier Häuser fertiggestellt. Bis 2022 sollen alle der insgesamt 139 Wohnungen bezogen sein. In Kapfenberg tut sich also wirklich was, wie es die Stadt seit Projektstart proklamiert. „Wirtschaftlich befinden wir uns im ständigen Wachstum. Deshalb benötigen wir nicht nur für alle Einkommensschichten leistbaren Wohnraum, sondern auch bedarfsgerechte Angebote für alle Altersgruppen“, berichtet Bürgermeister Friedrich Kratzer. Dabei sei festzustellen, dass die Zahl der älteren Menschen, aber auch jener der Kinder und Jugendlichen stark anwachsen wird. Kapfenberg wird sich in den nächsten Jahren ständig weiterentwickeln.
„Diese Entwicklung ist sehr positiv, denn der hohe Anteil an jungen Einwohnern gewährleistet auch in Zukunft ein gutes Vorankommen. Nun gilt es, ein soziales Angebot zur Verfügung zu stellen, das neue Wohnformen ebenso wie Gemeinschafts- und Freizeiteinrichtungen umfasst“, hält Kratzer fest. Genau in diese Kerbe schlägt „Riverside“. Die Gemeinnützige ZUWO (Zufrieden Wohnen; eine Tochtergesellschaft der Brucker Wohnbau) als Bauträger hat dafür – nach einem ausgeschriebenen Architekturwettbewerb – das Grazer Architekturbüro Janser Castorina Katzenberger in Zusammenarbeit mit dem Architekten Martin Bukovski mit ins Boot geholt. Die sieben schlichten fünf- und sechsgeschossigen Baukörper in technisch identer Form wurden beziehungsweise werden in Holzbauweise errichtet, ermöglichen durch ihren Versatz beziehungsweise ihre Höhenstaffelung gute Ausblicke sowie Belichtungssituationen und vermitteln gleichzeitig den Eindruck einer lebendigen Nachbarschaft.
Baustoff Holz auf Augenhöhe
1660 m³ Brettsperrholz wurden dabei von Graf Holztechnik aus Horn verbaut. Durch den leistungsstarken Baustoff erreicht das Projekt auch Niedrigenergiestandard, geheizt wird mittels Nahwärme. Brucker Wohnbau will diesbezüglich auch eine gewisse Vorreiterrolle übernehmen: „Wir setzen in letzter Zeit fast ausschließlich Projekte in Holzbauweise um. Der Holzbau wird in Zukunft den mineralischen Massivbau vermutlich nicht ganz ablösen, aber diesem auf Augenhöhe begegnen“, ist sich Vorstand und Obmannstellvertreter Heinz Karelly sicher. Guter Wohnbau sei jedoch immer eng mit innovativer Architektur verbunden. „Wichtig bei einem sozialen Projekt ist natürlich, dass sämtliche förderbare Kostenbereiche eingehalten werden. Was die Architektur betrifft, gibt es von unserer Seite jedoch keinerlei Einschränkungen. Wir lassen den Architekten ziemlich freie Hand.“
Hinterlüftete Fassade aus Aluminiumschindeln
Auf einer stringenten Tiefgarage wurden die ersten zwei Geschosse in Brettsperrholz errichtet. Die oberen Stockwerke sind als Riegelwandkonstruktion ausgeführt. Die Holzdecken wurden in sämtlichen Geschossen auf Sicht belassen. Des Weiteren blieb der ökologische Baustoff an den Unterseiten der Balkone sowie bei den Terrassenbelägen sichtbar. „Das Stiegenhaus mussten wir aufgrund der hohen Erdbebenlasten am Bauplatz in Stahlbeton ausführen“, berichtet Architekt Markus Katzenberger. Nach reiflicher Überlegung hat man sich auch aufgrund der hohen Feuchtigkeit im Nahbereich zur Mürz gegen Holz als Fassadenbekleidung entschieden. Somit wurde dem Einsatz von noch mehr Holz ein Strich durch die Rechnung gemacht. Katzenberger, der sich selbst zu den Holzverfechtern zählt, erklärt dazu: „Wir sind bewusst von einer Holzfassade abgegangen, obwohl es der Wunsch einiger Beteiligter war. Unserem Büro ist es wichtig – gerade im sozialen Wohnbau –, etwas zu schaffen, das auch langfristig den ‚Charme des Neuen’ verkörpert. Eine hinterlüfteten Fassade aus Aluminiumschindeln soll dies nun gewährleisten.“
„Holz nicht verbiegen“
Katzenberger sieht sich gerade im Wohnbau bautechnisch des Öfteren zu Kompromissen gezwungen. Der Planer empfindet es als nicht sinnvoll, dass das Holz oft dazu gezwungen wird, dieselben Anforderungen wie ein mineralischer Baustoff zu erfüllen. „Wir dürfen das Holz nicht verbiegen, denn dann sind seltsame Konstruktionen die Folgen. Architekten müssen beim Holzbau Standards erfüllen, die in erster Linie aus dem mineralischen Massivbau kommen. Für mich ist das fragwürdig. Holz besitzt andere Qualitäten, welche man ins Treffen führen sollte. Mit Holz könnte man unter etwas anderen Voraussetzungen viel einfacher und damit auch kostengünstiger bauen.“
Mehraufwand, der sich lohnt
Mehrere Spagate waren in Kapfenberg notwendig, um dem Holz seine Berechtigung zu lassen und die Kosten nicht zu sprengen. „Durch die Regelmäßigkeit und Wiederholung der Baukörper war es uns schlussendlich möglich, das Projekt kostenmäßig gut abzuwickeln. Die Architektur ist in vielen Bereichen sehr simpel gedacht“, erklärt Katzenberger. Um in allen Wohnungen die Holzdecken auf Sicht zu belassen beziehungsweise diverse konstruktive Doppelgleisigkeiten zu vermeiden, mussten diese vom Stiegenhaus schalltechnisch entkoppelt werden. „Das bedeutete einen Mehraufwand, der sich am Ende jedoch gelohnt hat. Die Bewohner genießen dadurch in den Innenräumen eine ganz andere Atmosphäre, die sich positiv auf die Stimmung auswirkt“, ist sich der Planer sicher. Lebensbejahend ist sicherlich auch die attraktive Flusslandschaft nahe der Mürz, die sich besonders gut für Freiflächen eignet, die den Bewohnern zur Gestaltung und Nutzung offenstehen. Barrierefrei auf die andere Seite der Mürz führt der sogenannte „Pioniersteig“. Er verbindet das neue Quartier mit zahlreichen Infrastruktureinrichtungen, so auch mit der Volksschule und dem Kindergarten. Im Westen befindet sich das Einkaufszentrum Diemlach. Auch die Anbindung an den öffentlichen Verkehr ist gesichert. Mit der Eingliederung des Betreuten Wohnens will man Generationen vereinen und eine Grundlage für ein erfülltes Leben schaffen. Die Stadtgemeinde Kapfenberg ist hierbei – gemeinsam mit dem Bauträger und dem Architektenteam – bemüht, ein höchstmögliches Maß an Lebensqualität zu gewährleisten und durch die Anlage von Flächen für Wochenmärkte oder Veranstaltungen eine lebendige Nachbarschaft zu initiieren.
Projektdaten
Standort: Kapfenberg-Diemlach
Bauherrschaft: Gemeinde Kapfenberg
Bauträger: Brucker Wohnbau mit seiner Tochtergesellschaft Die Gemeinnützige ZUWO
Fertigstellung: 1. Bauabscnhitt Juli 2019, 2. Bauabschnitt Oktober 2020, 3. Bauabschnitt bis 2022
Bauzeit: 2018 bis 2022
Architektur: j-c-k Janser Castorina Katzenberger
Holzbau: Graf Holztechnik
Systemlieferant: binderholz
Materialverwendung: 1660 m³ Brettsperrholz
Nutzfläche: 10.000 m2
Baukosten: 20 Mio. €