Im Schnitt 80 Kilo weniger

Ein Artikel von Stefan Leitner, Dr. Ulrich Hübner, Dr. Michael Winkler | 02.11.2021 - 08:59

Die Ergebnisse sind völlig überarbeitete Schneelastkarten für Österreich. Sie sollen Anfang 2022 auf der Online-Plattform hora.gv.at gemeinsam mit einer Novelle der Schneelastnorm ÖN B 1990-1-3 veröffentlicht werden.

Kostet der Schnee eine Lawine?

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Derzeitige Schneelastzonen in Österreich (Quelle: hora.gv.at).

Das hängt vom Standort ab. Aber ob bei Einfamilienhäusern und Carports oder bei weit gespannten Ingenieurholzbauten: Dem Bauteil Dach kommt im Holzbau nach wie vor eine sehr große Bedeutung zu und damit auch der Schneelast als Einflussgröße für die Bemessung.

Holz ist ein Baustoff, der im Verhältnis zu seinem Eigengewicht hohe Lasten tragen kann. Änderungen bei Schnee-, Wind- und Nutzlasten haben deshalb eine große Auswirkung auf die Dimensionierung und auf die Wirtschaftlichkeit von Holzkonstruktionen.

ÖN B 1991-1-3 (2018) Schneelast

Mit einer Gleichung wird abhängig von der Zuordnung des Standortes zu einer Schneelastzone und seiner Seehöhe die charakteristische Schneelast ermittelt. Eine digitale Schneelastkarte ist auf hora.gv.at verfügbar. Innerhalb von 2,5 km beiderseits der Zonengrenzen ergibt sich die charakteristische Schneelast als arithmetisches Mittel der Werte der beiden Zonen. Im Zweifelsfall ist der höhere Wert maßgebend.

Neue Schneelastkarte: genauer, feiner, erweitert

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oben: Stefan Leitner, Bildung und Technik, holzbau austria; mittig Dr. Ulrich Hübner, Kompetenzbereich Forschung und Normung, Fachverband der Holzindustrie Österreichs; unten Dr. Michael Winkler, Meteorologe und Schneelast-Experte, Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik Innsbruck

Auf der Grundlage von Wetteraufzeichnungen von etwa 900 Wetterstationen über einen Zeitraum von 30 Jahren und einer komplett neuen Modellierung der Schneelasten wurden im Zuge des Projekts Schneelast.Reform neue Schneelastkarten für Österreich entwickelt.

Mit einem feinmaschigen Raster von 50 mal 50 Metern über das ganze Land sind die ausgegebenen Werte besonders detailliert. Im neuen Modell gibt es keine Zonen und daher auch keine unnatürlichen Sprünge mehr. Die derzeit gültige Norm ist nur bis zu einer Seehöhe von 1.500 m anwendbar und damit für viele Bauplätze im alpinen Raum nicht geeignet. Die neue Schneelastkarte erweitert den Anwendungsbereich bis 2.000 m und damit in eine Höhenlage, oberhalb derer es in Österreich praktisch keine Dauersiedlungsräume mehr gibt. Darüber steigt der Fehler bei der Prognose deutlich, sodass die Ermittlung der Schneelast im Hochgebirge über ein Gutachten sinnvoll erscheint. Die Genauigkeit der sogenannten charakteristischen Schneelast liegt im Schnitt bei 0,85 kN/m² (bis 1.500 m) und ist damit etwa doppelt so hoch wie nach derzeitiger Norm (1,61 kN/m²). Außerdem gibt es nur eine geringe systematische Abweichung, wohingegen die Werte der aktuellen Norm im Mittel um 1,16 kN/m² zu hoch sind (Schellander u.a., 2021).

Die aktuell gültige Karte für die charakteristische Schneelast gilt für eine jährliche Überschreitungswahrscheinlichkeit von 2 %, also für 50-jährliche Ereignisse. Für andere Jährlichkeiten kann nach ÖNORM EN 1991‑1‑3:2016, Anhang D, umgerechnet werden, wobei der Koeffizient der Schwankung der jährlichen Höchstschneelast bekannt sein muss. Das neue Schneelastmodell kann für unterschiedliche Jährlichkeiten die charakteristische Schneelast ermitteln. In der österreichischen Arbeitsgruppe für Schneelast (ASI 176.09) wurde festgelegt, auch für ein 30- und ein 100-jährliches Ereignis die Karten zu veröffentlichen. Somit kann man die Schneelast an unterschiedliche geplante Nutzungsdauern ohne Umrechnung anpassen, z.B. 30 Jahre für landwirtschaftliche Bauten oder 100 Jahre für Brücken.

Ein weiteres Novum ist die Berücksichtigung des Fehlers bei der Berechnung des Erwartungswertes der charakteristischen Schneelast. Die Genauigkeit bei der Prognose hängt von vielen Parametern ab, u.a. Dichte des Messnetzes, Güte sowie Länge der Messreihe, Qualität der Schneedichtemodellierung und Relief des Geländes. Bisher konnte man nur den Erwartungswert abschätzen, nicht aber den unweigerlich verbundenen Prognosefehler. Nun wurde ermittelt, welcher Wert zu 75 % den wahren Wert des z.B. 50-jährlichen Ereignisses abdeckt. Bei den Holzfestigkeiten wird ebenfalls ein 75 %-Konfidenzintervall verwendet, um die 5 %-Quantile abzusichern.

Weniger ist mehr: Vergleich alt/neu

Im Durchschnitt über ganz Österreich ergeben sich um 0,8 kN/m² geringere charakteristische Schneelasten und die untenstehende Karte zeigt rote Farbtöne für Gebiete mit geringerer Schneelast im Vergleich zur aktuellen Norm. Grün dargestellt sind Schneelasterhöhungen, die aber meist wenig besiedelte, höhere Lagen betreffen. Bei vielen Objekten könnten auf der Basis der neuen Schneelastkarten zusätzliche Dachlasten in Form von Photovoltaikanlagen oder thermischen Solarkollektoren ohne zusätzliche Verstärkungsmaßnahmen am Tragwerk aufgebracht werden.

100 (oder mehr) Rohdichten von Schnee

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Differenz der charakteristischen Schneelast zwischen neu berechnetem oberem Limit des 75 %-Konfidenzintervalls und aktueller Norm und in kN/m².

Dass die nordamerikanischen Inuit 100 Worte für Schnee kennen, ist ein weit verbreiteter Irrtum. Sicher ist, dass die Rohdichte von Schnee sehr unterschiedlich sein kann. Die Schneehöhe alleine gibt nur wenig Auskunft über die Schneelast, die beispielsweise ein Dach tragen muss.

Schnee kann sich setzen, schmelzen, (wieder)gefrieren, durchfeuchten u.v.m. Die ZAMG entwickelte im Zuge des Projekts Schneelast.Reform das neue Rechenmodell ∆SNOW, mit dem aus den täglichen Schneehöhen ohne weitere meteorologische Daten Schneelasten berechnet werden können. Dieses halbempirische, vielschichtige Schneemodell lieferte die notwendigen Jahresmaxima der Schneelast. Es wurde international publiziert und ist frei verfügbar.

Schneelast und Klimawandel

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Der Winter  2008/09 in Kössen (Nordalpen) zeigt beispielhaft die Evolution der Schneedichte (Blautöne) wie sie vom ∆SNOW Modell simuliert wird. Die Farbstreifen am unteren Rand zeigen an, welche Module oder Submodule des Modells an den entsprechenden Tagen aktiviert sind. Details finden sich in Winkler u.a. (2021).

Angesichts immer stärker wahrnehmbarer Auswirkungen des Klimawandels stellt sich die Frage, welche Rolle die Schneelasten in der Zukunft für die Bemessung haben werden. Laut ZAMG sind die durchschnittlichen Temperaturen in Österreich im Zeitraum von 1900 bis 2009 um 1,5° C gestiegen. Das macht sich auch an einer geringeren Anzahl an Tagen mit Schneedecke und an einer geringeren durchschnittlichen Höhe der Schneedecke bemerkbar.

Der Klimawandel führt aber auch zu häufiger auftretenden Wetterextremen. Nicht nur längere Trockenphasen, sondern auch enorme Niederschlagsmengen in kurzer Zeit, auch in Form von Schnee, kommen häufiger vor. Baukonstruktionen werden auf diese Extremereignisse ausgelegt. Mit einer kurzfristigen Reduktion der Scheelasten aufgrund des Klimawandels ist also eher nicht zu rechnen.

Quellen und weitere Infos:

  •  Schellander, H., Winkler, M., and Hell, T.: Towards a reproducible snow load map – an example for Austria, Adv. Sci. Res., 18, 135–144, https://doi.org/10.5194/asr-18-135-2021, 2021.
  • Winkler, M., Schellander, H., and Gruber, S.: Snow water equivalents exclusively from snow depths and their temporal changes: the ∆SNOW model, Hydrol. Earth Syst. Sci., 25, 1165–1187, https://doi.org/10.5194/hess-25-1165-2021, 2021
  • ÖN B 1991 -1-3 (2018): Eurocode 1 – Einwirkungen auf Tragwerke – Teil 1-3: Allgemeine Einwirkungen – Schneelasten – Nationale Festlegungen zur ÖNORM EN 1991-1-3, nationale Erläuterungen und nationale Ergänzungen.
  • https://hora.gv.at: Das Bundesministerium für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus(BMLRT) gibt auf dieser Website Kartendarstellungen zur Erstinformation über mögliche Gefährdungen durch verschiedene Naturgefahren wie Hochwasser, Erdbeben, Sturm, Hagel und Schnee heraus. Durch Adress-Eingabe kann unter anderem die Schneelast (sk) eines bestimmten Standortes ausgegeben werden.