|UPDATE am 11.04.2022 |
Das Sara Kulturhus in Skellefteå wurde zum Gewinner des Internationalen Preises für Holzarchitektur ernannt, wie am 7. April auf dem Internationalen Holzbauforum in Nancy bekannt gegeben wurde. Der „International Award for Wood Architecture“ wird von der internationalen Presse verliehen, um herausragende Leistungen auf dem Gebiet der Holzarchitektur zu würdigen. Der Preis soll die Entwicklung innovativer architektonischer Ideen unter Verwendung von Holz fördern und Verbindungen zwischen Ländern herstellen, in denen der Holzbau eine immer wichtigere Rolle spielt.
Skellefteå ist eine Kleinstadt an der Küste Nordschwedens mit rund 33.000 Einwohnern. Eine mit Holzwirtschaft und Bergbau gewachsene Industrie- und Hafengegend, die 200 km südlich des Polarkreises und am Rande einer faszinierenden Landschaft liegt. Skellefteå ist bekannt für die wilde Natur des Nordens, die Polarlichter in den dunklen Wintermonaten, die malerischen Seen und Wälder in der Umgebung.
Im September 2021 öffnete dort ein faszinierendes Holzhochhaus seine Türen. Vom 20. Stockwerk des „Sara Kulturhus“ blickt man über unendliche Weiten und erhascht auch einen Blick auf den nahe gelegenen Archipel in der Ostsee. Das Kulturzentrum ist nach der schwedischen Autorin Sara Lidman benannt, die hier aufgewachsen ist. Sie gilt als eine der bedeutendsten schwedischen Autorinnen des 20. Jahrhunderts und war davon überzeugt, dass alles – Menschen, Pflanzen, Tiere – zutiefst miteinander verbunden ist. Das ihr gewidmete Gebäude trägt die Handschrift des in Göteborg ansässigen Büros von White Arkitekter, das 2016 einen internationalen Wettbewerb für die Planung gewonnen hat. Initiator ist die Stadt selbst. Die Intention dahinter: Es soll Skellefteå zu einer attraktiven Region machen, denn das Gebäude beherbergt ein Theater, ein Museum, eine Kunstgalerie, die städtische Bibliothek sowie ein modernes Hotel mit 205 Zimmern inklusive Spa und Restaurants.
Wichtiger Meilenstein für Architekten
Das 30.000 m2 große Holzensemble hat bereits internationale Auszeichnungen erhalten, darunter der „MIPIM 2018 Best Future Project“- und der „MIPIM/The Architectural Review 2018 Civic & Community Future Project“-Award. Das Projekt stellt zudem einen wichtigen Meilenstein für White Arkitekter dar, die sich zum Ziel gesetzt haben, ihre gesamte Architektur bis zum Jahr 2030 kohlenstoffneutral (oder besser) zu gestalten. Die Holzbauweise ist dafür ein wichtiger Eckpfeiler. „Der Neubau ist nicht nur ein vorbildliches Einzelprojekt, sondern soll auch die Anwendungsmöglichkeiten erweitern und weltweit den Einsatz von Holz als nachhaltigstes Baumaterial für komplexe und hohe Gebäude vorantreiben“, erklären die leitenden Architekten Robert Schmitz und Oskar Norelius. Mit einer Höhe von 75 m gilt es aktuell nicht nur als das zweithöchste vollständig aus Holz errichtete Gebäude der Welt, sondern wurde auch so konzipiert, dass es dank eines ausgeklügelten Energiesystems an das Strom- und Wasserversorgungsnetz der Stadt angeschlossen ist und so die umliegende Nachbarschaft mit Energie versorgen kann. Lidman selbst wünschte sich zeit ihres Lebens ein Haus, das während seines gesamten Lebenszyklus’ nachhaltig ist, „ein Passivhaus für eine aktive Kultur, das lokale Bautechniken und Materialien verwendet und von lokalen Arbeitskräften gebaut wird“. Dieser Wunsch ging nun 17 Jahre nach ihrem Tod in Erfüllung.
Holzkomponenten binden 9000 t CO2
Mit dem Sara Kulturhus knüpfen White Arkitekter an die lange Tradition des Holzbaus in der Region an. Es sei an diesem Ort einfach naheliegend gewesen, betont Norelius: „Wir wollten so viel wie nur irgendwie möglich von dem ökologischen Baustoff verwenden.“ Entstanden ist schließlich ein über 20 Stockwerke reichender, von Glas thermisch umhüllter Holzturm mit ausladender Sockelbebauung, der mit seiner hohen Schmalseite den zentralen Platz der Stadt geradezu schneidet. Das Fichtenholz, aus dem das Kulturzentrum erbaut ist, stammt aus Wäldern der Region und wurde in der Brettsperrholz (BSP)-Anlage von Holmen Wood Products in Bygdsiljum, nur knapp 70 km von der Baustelle entfernt, weiterverarbeitet. Bygdsiljum ist eines der größten Sägewerke der Gruppe und produziert sowohl Schnittholz und Holzprodukte, als auch Brettschichtholz (BSH) und BSP. Sie zählt heute zu einem der größten Hersteller von BSH in ganz Skandinavien. Von dort ging es weiter zum Unternehmen Martinsons. Das Gesamtvolumen inklusive Rahmen beträgt 10.700 m3 BSP und 2600 m3 BSH. „Die Komponenten binden während ihrer Lebensdauer fast 9000 t CO2. Dies entspricht laut Holzbauunternehmen etwas mehr als 13.000 Passagierflügen zwischen Stockholm und New York“, berichtet Projektleiter Robert Andersson eindrucksvoll. „Geschichtlich betrachtet gab es den Wettlauf zum Mond, den Wettlauf um die höchsten Wolkenkratzer und jetzt den Wettlauf zum nachhaltigsten Gebäude der Welt. Letzterer ist vielleicht einer der wenigen Wettläufe, die in die richtige Richtung gehen“, ergänzt Oskar Norelius in Anbetracht der Klimakrise. „Als Architekten stehen wir in der Verantwortung, etwas gegen den Klimawandel zu unternehmen. Zu diesem Zweck haben wir unsere Forschungs- und Designkompetenzen mit Schwerpunkt auf Holztechnologien verstärkt. Unsere Roadmap 2030 gibt die Richtung vor, in die wir uns bewegen, um zum gesellschaftlichen Wandel beizutragen.“ Ein starker Ansatz. Laut Architekten gehe es allerdings nicht um Rekorde, auch nicht um Superlative. Es gehe eher darum, das Material in einer Art Vorzeigestudie auszureizen und zu zeigen, was es alles kann.
Modern und traditionell zugleich
Das Kulturzentrum kombiniert also traditionelle Materialien mit moderner Technologie und beherbergt die Kunstgalerie Skellefteå, das Museum Anna Nordlander, das Regionaltheater Västerbotten, die neue Stadtbibliothek und das „The Wood“ Hotel. Damit leistet es nicht nur einen positiven Beitrag zur lokalen Gemeinschaft, sondern ist gleichzeitig ein internationales Aushängeschild für nachhaltiges Design und Architektur. Das vielfältige Programm des Kulturzentrums erforderte eine Reihe innovativer Lösungen im Holzmassivbau, um Spannweiten, Flexibilität, Akustik und Gesamtstatik zu bewältigen. In Zusammenarbeit mit dem Statiker Florian Kosche wurden für das Kulturzentrum und das Hotel zwei unterschiedliche Bausysteme entwickelt. Der Martinsons-Projektleiter könnte stundenlang über Details sprechen, die ihn auf seinem Weg bis hin zur Fertigstellung begleitet haben. „Es war eine aufregende Reise und eine sehr komplexe Aufgabe. Diese hat uns aber als Unternehmen gezeigt, dass wir über genügend Wissen und Erfahrung verfügen, um zu einem erfolgreichen Abschluss zu gelangen. Besonders erfreut bin ich über die insgesamt sieben Aufzugschächte aus Brettsperrholz.“
Kaum Beton verwendet
Bis auf wenige fixierende und statische Notwendigkeiten ist alles aus dem nachwachsenden Rohstoff: das Tragwerk, die gesamte Konstruktion, eben selbst die Liftschächte. Das Hotel wurde aus vorgefertigten BSP-Modulen aufgebaut, die zwischen zwei BSP-Aufzugskernen gestapelt werden. Der niedrigere Teil des Gebäudes besteht aus Stützen und Trägern aus BSH sowie Kernen und Scherwänden aus BSP. Diese wurden im Werk von Martinsons vorgefertigt und vor Ort einfach zusammengesetzt. Standardisierte Geschosshöhen und ein allgemeines strukturelles Raster ermöglichten ein hohes Maß an Wiederholungen bei den Komponenten, was die Präzision erhöhte und gleichzeitig die Produktionszeiten und das Fehlerrisiko minimierte. Kleinere Komponenten wurden zu möglichst großen Gebäudeteilen zusammengesetzt, um die Arbeiten vor Ort zu reduzieren. Durch die integrierte Tragwerksplanung konnte der Bedarf an Beton in der tragenden Struktur vollständig eliminiert werden, was die Bauzeit beschleunigte und den CO2-Fußabdruck des Gebäudes drastisch reduziert. „Ausnahmen finden sich etwa im fünften Stockwerk, wo die Haustechnik des Hotelturms liegt. Hier kamen Stahlträger und Beton zum Einsatz. Stahlbeton wurde auch beim Abschluss der 19. und 20. Etage verwendet, um die Windkräfte zu minimieren“, weiß Andersson. Während der Bauzeit arbeiteten oft zwei Teams und zwei Baukräne gleichzeitig. Da es vor Ort nur sehr wenige Lagerflächen gab, waren viele just in time-Lieferungen und eine gute Baustellenplanung erforderlich, um die Montagearbeiten aufrechtzuerhalten. „Aufgrund des Wetters und der starken Winde stand die Baustelle für einige Tage lang still. In dieser Zeit mussten wir uns dann eben auf andere Dinge konzentrieren“, berichtet Andersson.
Holz gekonnt in Szene gesetzt
Die Lage des Gebäudes im Stadtzentrum, die transparenten Fassaden und die Eingänge an allen Seiten sorgen für einen offenen und einladenden Ort. Die verglaste Front des unteren Bauvolumens ist mit vertikalen Holzlamellen versehen, die vor der tief stehenden Sonne schützen und gleichzeitig das Holz in die zentralen öffentlichen Räume zurückbringen. Der Hotelturm selbst hat eine doppelschalige Glasfassade mit beweglichen Sonnenschutzelementen, die sich an die extremen jahreszeitlichen Schwankungen des Tageslichts anpassen. Schmitz und Norelius setzten zudem den Baustoff im Inneren gekonnt in Szene: in der offenen Deckenkonstruktion des Foyers, wo die Pfähle zum Lastenausgleich wie Zapfen herunterhängen; in den Bühnensälen, wo die akustischen Wandpaneele ein Streifenmuster über die Wände legen. Das schöne Holz ist über das ganze Gebäude hinweg sichtbar und bringt innen wie außen mit seiner Maserung Wände, Böden, Stufen, Geländer, Terrassen und Türen zum Strahlen. Schmitz zum Thema Brandschutz: „Wir haben die Holzelemente so massiv eingesetzt und verwendet, dass sie nicht wirklich brennbar sind, sondern eher verkohlen. Die Dicke des Holzes ist also der eigentliche Brandschutz für zumindest 120 Minuten. Zudem gibt es Sprinkleranlagen im gesamten Haus.“ Laut dem Architektenteam habe sich Massivholz als eine der nachhaltigsten Lösungen für Gebäudestrukturen erwiesen, die heute bekannt sind. Mit der Realisierung einer Vollholzstruktur für ein komplexes Gebäude mit gemischter Nutzung, unterschiedlicher Volumen und einem Hochhaus mit 20 Stockwerken erweitere das Sara Kulturhus die Anwendungsmöglichkeiten von Holz als Baumaterial und beweise wieder einmal mehr, dass Holz eine tolle Lösung für praktisch jeden Gebäudetyp ist.
„Wir hoffen, dass dieses Projekt anderen beim Bauen großer Holzgebäude hilft“, erklären Norelius und Schmitz. Eine der größten Herausforderungen bei diesem Projekt sei gewesen, die Menschen davon zu überzeugen, etwas zu bauen, was noch nie zuvor gebaut wurde. Der Wille und Ehrgeiz, neue Wege in der Holzarchitektur und im nachhaltigen Bauen zu beschreiten, habe aber überwogen.
„Was wir jetzt sehen, ist das Ergebnis einer großartigen Zusammenarbeit zwischen der Gemeinde, den Partnern und unserem interdisziplinären Team. Gemeinsam haben wir fleißig auf das gleiche Ziel hingearbeitet und waren erfolgreich“, freut sich Norelius.
Projektdaten
Standort: Skellefteå, SE
Fertigstellung: 2021
Bauzeit: November 2018 bis September 2021
Bauherr: Stadt Skellefteå
Architektur: White Arkitekter
Holzbau: Martinsons
Statik: Florian Kosche
Zulieferer: Holmen Wood Products
Holzmenge: ca. 13.300 m3