Mit Spiritualität und Sturmholz

Ein Artikel von Birgit Gruber | 27.05.2021 - 09:31
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© Gustav Willeit

Am malerischen Ortsrand von St. Vigil im Südtiroler Gadertal, im Schoß der Dolomiten und in unmittelbarer Nachbarschaft zu einer Thermalquelle, fällt Wanderern ein Haus in massiver Holzbauweise auf. Das Gebäude mit seiner archaischen Form, bei der kein Unterschied zwischen Dach und Fassade besteht, wurde auf dem Gelände des Hotels „Aqua Bad Cortina“ errichtet und ist schon von Weitem gut sichtbar. Die Bauherren des außergewöhnlichen Domizils, Sandra und Nicol Alberti Mutschlechner, sind gleichzeitig auch die Hotelbesitzer. Mit dem Gebäude haben sie sich ihren ganz persönlichen Traum vom Eigenheim direkt neben dem Arbeitsplatz verwirklicht. Pläne und Entwurf resultieren aus einer fruchtbaren Zusammenarbeit mit Pedevilla Architects aus Bruneck im Pustertal.

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© Gustav Willeit

Projektleiter Armin Pedevilla wohnt nicht nur in unmittelbarer Nachbarschaft, sondern zeichnet auch für den Thermalbad- und Restaurantzubau des Hotels verantwortlich. Man kannte einander also schon gut, bevor ein neues Projekt gestartet wurde. „Die Bauherrenfamilie hat damals noch in einer Dienstwohnung direkt im Hotel gelebt. Im Zuge der Hotelerweiterung kam dann aber die Frage auf, ob dies auch in Zukunft so bleiben soll. Für mich gab es nur eine logische Konsequenz: die Errichtung der eigenen vier Wände, um den nötigen Abstand zum oft stressigen Arbeitsalltag zu erhalten, Freizeit und Erholung genießen zu können“, erklärt Pedevilla. Gesagt, getan und so nahmen 2018 erste Gespräche langsam Form und Gestalt an.

Trapezform als sakrales Gestaltungselement

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Mit seinen überhöhten Gauben und Giebeln in Trapezform sowie der Fassade aus handgefertigten Holzschindeln wirkt das Wohnhaus wie eine Neuinterpretation seiner traditionellen Nachbarbauten. © Gustav Willeit

Mit seinen überhöhten Gauben und Giebeln in Trapezform sowie der Fassade aus handgefertigten Holzschindeln wirkt das Wohnhaus „ciAsa Aqua Bad Cortina“ wie eine Neuinterpretation seiner traditionellen Nachbarbauten. Die ciAsa (rätoromanisch für Haus) steht heute als hochalpines Vollholzhaus auf einer sanften Anhöhe, direkt an der Thermalquelle. „Die sakrale Formensprache ist durch die spirituelle Einstellung der Bauherren entstanden. Das Dach nimmt dabei eine schützende Haltung ein und bildet ein Nest, in dem sich die Familie wohlfühlen kann“, weiß der Architekt. Die Spiritualität und Wertschätzung der Natur sind an allen Ecken und Enden spürbar und führten zur Wahl von Holz als Baumaterial. „Bevor wir mit der Realisierung unseres Hauses starteten, stellten wir uns mit geschlossenen Augen vor, in einem Beton-Ziegel-Ambiente zu wohnen. Gleich danach umkreisten die Gedanken in unserem Kopf die Alternativen – und wir hatten das Bild eines Holzhauses mit entsprechendem Ambiente vor Augen. Schon war die Wahl getroffen“, erzählt Bauherr Nicol Alberti Mutschlechner. Ein weiteres Hauptthema bei der Planung war auch das Wasser als Quelle allen Ursprungs. „Alberti Mutschlechner ist regelmäßig mit frischem Thermalwasser zu uns ins Büro gekommen, damit wir den Geist des Ortes aufnehmen. Es war ihm sehr wichtig, dass wir bei diesem Projekt mit den Gegebenheiten der Natur arbeiten und das Bauumfeld verinnerlichen“, berichtet Pedevilla. Das Trapez als sich wiederholendes Element vermittelt eine ruhende Kraft und versprüht diese mystische, sakrale Energie. Alberti Mutschlechners Spiritualität durchzieht bei diesem Projekt Form, Raum und Substanz.

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© Gustav Willeit

„Wir bauen mit lokalen Materialien, mit lokalen Handwerkern und den Charakteren der Menschen, die hier leben. Es ist keine intellektuelle, sondern eine emotionale Angelegenheit: Wir wollen unseren Projekten die Möglichkeit geben, in Würde zu altern.“


Armin und Alexander Pedevilla, Architekten

Dem Zufall geschuldet

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Für die Architekten bedeutet Bauen den bewussten Umgang mit sozialen, kulturellen, ökonomischen und ökologischen Komponenten des Lebens. © Gustav Willeit

Die eingesetzten Materialien waren nicht nur lokal verfügbar, es wurde außerdem bei deren Wahl auf Robustheit, Konsistenz und Langlebigkeit geachtet. Das verbaute Holz war dem Zufall des Sturmtiefs „Vaia“ geschuldet, das Ende Oktober 2018 mehrere Tausend Hektar Waldfläche in den Dolomiten niederriss. Alberti Mutschlechner sah darin eine Chance. Er wollte die gefallenen Baumstämme für den Bau seines Hauses nutzen, vor allem jene zwischen 1500 und 1700 m über dem Meeresspiegel – die besten Lagen für Fichten. Zudem stammte das Sturmholz aus einer idealen Mondphase, was sich positiv auf dessen Robust- und Trockenheit auswirkte. Es musste nur aus höchst unwegsamem Gelände geborgen werden. „Die Bauherren haben mit dieser Idee den vielleicht inflationären Begriff der Nachhaltigkeit weiterentwickelt. Sehr viel weiter. Nun galt es einen unterstützenden Holzbearbeiter mit dem notwendigen handwerklichen Können zu finden. Der Rest ist Begeisterung“, schreibt das Holzbauunternehmen holzius aus Prad am Stilfserjoch. Denn Firmengründer Herbert Niederfriniger ist gelernter Tischler, war acht Jahre lang Förster und teilt dieses tiefere Verständnis für den Ursprung und die Besonderheit des Holzes. Mithilfe von Holzarbeitern und der Wandersäge wurde das durcheinandergeworfene Rundholz langsam zu Bauholz. „Wir haben das vom Bauherrn gelieferte Fichten- und Zirbenholz erhalten und in unserem Werk weiterverarbeitet. Die Außenwände sind 36 cm stark, in Wuchsrichtung des Baumes stehende, massive Bohlen (6 x 6 Lagen). Unser Verbindungssystem fügt die Teile leimfrei, luftdicht, fugenlos und formstabil zusammen. Entstanden ist ein dreistöckiges Holzhaus auf Maß, ohne Leim, ohne Chemie, ohne Isolierstoffe, ohne Lösungsmittel, das keinen Elektrosmog generiert“, freut sich Niederfriniger.

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Das Innere des Hauses besteht aus massivem Zirbenholz, die Wandoberflächen sind allesamt handgehobelt. Die Anschlüsse für Fenster und Türen wurden in die Wandelemente eingefalzt. © Gustav Willeit

Mit dem Geruch von Zirbe

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Im ersten Obergeschoss sind vier Kinderzimmer und zwei Bäder situiert. Ganz oben im Dachgeschoss befindet sich das Elternschlafzimmer mit eigenem Bad und ein Raum, der als Büro oder Meditationsraum genutzt werden kann. © Gustav Willeit

Das Innere des Hauses besteht aus massivem Zirbenholz, die Wandoberflächen sind allesamt handgehobelt. Die Anschlüsse für Fenster und Türen wurden in die Wandelemente eingefalzt. „Wegen ihres warmen Farbtons und des charakteristischen Geruchs, der dem Raum Wohlgefühl und Wärme verleiht, wird die Zirbe in der lokalen Tradition bereits seit Jahrhunderten für die Innenverkleidung der Stube verwendet“, ergänzt Pedevilla. Zusammen mit der äußeren Fassadenschicht aus Lärchenschindeln, die in lokaler Handarbeit gespalten wurden, erreicht die Wand eine so niedrige Wärmeleitfähigkeit, sodass eine zusätzliche Dämmung nicht notwendig ist. Insgesamt konnte also weitestgehend auf die Verwendung von synthetischen Materialien und Kunststoffen verzichtet werden. Trotzdem erfüllt das Haus die strengen Kriterien eines Klimahauses in Südtirol und wurde als erstes Vollholzhaus ohne Dämmstoffe „Klimahaus A“ zertifiziert. „Für mich ist nach diesem Projekt der Begriff ,nachhaltig’ nicht mehr derselbe“, meint der holzius-Chef. Denn neben dem Material stammen auch die Handwerker aus der unmittelbaren Umgebung. Armin Pedevilla stimmt dem zu: „Mehr Nachhaltigkeit geht echt nicht. Wir müssen heutzutage Gebäude schaffen, die einen emotionalen Mehrwert geben und uns dadurch lange erhalten bleiben. Wenn ich mit einem Objekt wertschätzend umgehe, ist Dauerhaftigkeit garantiert.“

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© Gustav Willeit

Dolomitgestein und Thermalwasser

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© Pedevilla Architekten

Nicht nur das Holz des Hauses ist lokal, auch der Stein für die Böden und Bäder, der aus Dolomitfindlingen geschnitten wurde, kommt aus den umliegenden Bergen. Der Beton für das Untergeschoss, das zugleich die Verbindung zum nahegelegenen Hotel herstellt, wurde vor Ort aus Gestein des vorbeifließenden Baches mit Thermalwasser gemischt. Darüber befindet sich das Erdgeschoss mit dem Eingangsbereich und Gäste-WC, einer Küche mit Essbereich sowie dem Wohnzimmer mit eingeschnittener Loggia. Im ersten Obergeschoss sind vier Kinderzimmer und zwei Bäder situiert. Ganz oben im Dachgeschoss befindet sich das Elternschlafzimmer mit eigenem Bad und ein Raum, der als Büro oder Meditationsraum genutzt werden kann. „Die Architektur spiegelt den Charakter der Bewohner wider“, freut sich Pedevilla. Die Resonanz war zudem riesig. Das realisierte Haus überzeugte namhafte Architektur-Jurys. Für das Bauwerk wurde das Büro bereits mit zahlreichen Awards ausgezeichnet.

„Es war uns schon sehr wichtig, kürzeste Transportwege und überliefertes, handwerkliches Wissen bei der Umsetzung unserer ciAsa zu berücksichtigen. Deshalb haben wir auch auf einheimische Unternehmen gesetzt, denn wir wollten Bauen wie es früher einmal normal war“, fasst Alberti Mutschlechner zusammen. Das Resultat überzeugt. „Jeder, der uns kennt und das Vollholzhaus sieht, bestätigt: Ja, das sind sie!“

Projektdaten

Standort: St. Vigil in Enneberg
Bauherrschaft: Familie Alberti Mutschlechner
Fertigstellung Rohbau: Juni 2019
Einzug: Herbst 2019
Architektur: Pedevilla Architects
Holzbau: holzius GmbH
Holzmenge: 450 m² Sichtwände aus Zirbe; 350 m3 holzius 360 Vollholz-Wandelemente; 300 m3 holzius 90/120 Vollholz-Wandelemente
Nettowohnfläche: 160 m²