Schule soll ja bekanntlich schlau machen. Dafür braucht es für Kinder und Jugendliche ein gesundes Umfeld und eine Wohlfühlatmosphäre, die konzentriertes Lernen ermöglichen. Werden Schulgebäude saniert oder ist aufgrund von Platzmangel ein Neubau vonnöten, muss der Unterricht temporär in ein Ausweichquartier verlegt werden. Vielerorts sieht man in so einem Fall unschöne Metallcontainerschulen aus dem Boden wachsen, deren schlechter Ruf weit verbreitet ist. Diese scheinbar alternativlosen Übergangslösungen sollten aus Sicht der Wohngesundheit und Innenraumhygiene aber nicht dauerhaft angeboten werden, wie kritische Artikel über gesundheitliche Belastungen für Schüler und Lehrer belegen. Dagmar Frick, Klassenvorstand einer ersten Klasse in Perchtoldsdorf, schilderte Anfang September des Vorjahres in einem Beitrag, der auf orf.at erschienen ist, den Schulalltag im Container folgendermaßen: „Es gibt weniger Platz und einen fürchterlichen Geruch in diesen Containerklassen. Die Schüler sind wesentlich schwerer zur Ruhe zu bringen und sie sind auch deutlich unentspannter.“ Im Juni habe es zudem um die 40 Grad, weshalb man den Unterricht oft nach draußen verlege.
Schnell, schneller, Holzbau
Dass es sehr wohl bauliche Alternativen für temporäre Klassenzimmer gibt, zeigt ein Vorzeigeprojekt im schweizerischen Biel. Dort machte vor drei Jahren eine städtebauliche Verdichtung des Wohnquartiers um das ehemalige Fußballstadion Gurzelen eine Erweiterung der Primarschule La Champagne in der Champagneallee notwendig. In diesem Kontext entschied sich die Stadt ebenfalls für eine provisorische Lösung, bei der jedoch modulare Einheiten aus Holz zum Einsatz kamen. Der Entwurfsgedanke für diese einmalige und auf acht Jahre begrenzte Behausung stammt aus dem Bieler Architekturbüro VERVE. Der Name ist dort Programm, bezeichnet eine künstlerisch kreative Leichtigkeit und symbolisiert ein allgemein positiv beschwingtes Lebensgefühl. In einem kleinen Team entwickelt man gemeinsam Wohlfühlräume für Menschen und setzt bevorzugt auf den nachwachsenden Baustoff. „Wir sind vom modernen Holzbau total überzeugt. Dieser ist dank seiner Digitalisierung mit der Geschwindigkeit unserer heutigen Gesellschaft mitgegangen. Konventionelle Baustoffe bringen diese Leistung nicht. Gibt ein Projekt einen engen Zeitrahmen vor, kann das nur ein Holzbau schaffen. Davon sind wir überzeugt. Die Zement- und Betonindustrie empfinden wir diesbezüglich als überholt“, meint VERVE-Architekt Roman Tschachtli.
„Containerschulen sind Horror“
Als Tschachtli und seine Kollegin Sabine Schütz im November 2016 der Stadt ihre Pläne für den temporären Schulbau präsentierten, musste die Ausschreibung in puncto Baustoff zunächst neutral ausfallen. Der VERVE-Architekt erläutert die Geschichte und Herausforderungen der provisorischen Schulhauserweiterung: „Eine metallene Containerlösung war uns von Anfang an ein Dorn im Auge. Solche Lösungen sind doch Horror und acht Jahre ein langer Zeitraum. Aus diesem Grund war es uns wichtig, auch mit einer temporären Konstruktion optimale Bedingungen zu schaffen. Also drängten wir vehement in Richtung Holzbau“, erzählt Tschachtli. Dem Hochleistungsbaustoff sei Dank, entschied sich die Bieler Stadtverwaltung schließlich für eine Konstruktion aus dem ökologischen und gesunden Baumaterial. „Dabei waren ein enger Zeit- und Kostenrahmen die ausschlaggebenden Faktoren und spielten dem Holzbau voll in die Karten. Kein anderer Baustoff wäre in diesem Fall billiger oder schneller gewesen“, freut sich Tschachtli. Die Architekten entwickelten mit begrenztem Budget um rund 2,2 Mio. € eine modulare Konstruktion, welche Pragmatismus und Ästhetik gleichwertig vereint. Entstanden ist ein dreigeschossiges Holzgebäude, bestehend aus 36 komplett vorfabrizierten Bauteilen mit acht rund 67 m2 großen Klassenzimmern, einem rund 90 m2 großen Multifunktionsraum und weiteren Räumen, wie Lehrerzimmer, Schulsekretariat, WC-Anlage, Technikraum und Lager.
Sechs Wochen Vorfertigung, vier Tage Montage
Bei diesem Projekt musste zudem die Vorgabe berücksichtigt werden, dass die Holzmodule inklusive der Fundamente nach erster Nutzung rückstandslos entfernt und an einem anderen Ort wiederaufgebaut werden sollen. Tschachtli dazu: „Der dreigeschossige, temporäre Modulbau wurde auf einem Schraubfundament des Schweizer Unternehmens Krinner mit darüber liegenden Stahlträgern erstellt. Deshalb waren auch keine Grabarbeiten notwendig. Das gesamte Projekt benötigte einen kleineren Vorlauf und ist am Ende auch schnell wieder rückgebaut. Dafür ist der serielle Modulbau aus Holz, meiner Meinung nach, am besten geeignet.“ Die Lebensdauer des Gebäudes wurde auf 30 Jahre angesetzt. Welche Aufgabe es nach den acht Jahren erfüllen soll, stehe noch nicht fest. „Wir haben die Ausstattung sehr neutral gewählt. Es wäre also vieles denkbar zum Beispiel eine komplett neue Anordnung beziehungsweise Stapelung der Boxen“, so der Architekt. Die tragenden Decken und Wände des Modulbaus sind in Brettsperrholz gefertigt. Dabei setzt man auf Fichte in Sichtqualität mit Schweizer Tannenschalung als Fassade. Sämtliche Module wurden innerhalb von nur sechs Wochen im Werk des Holzbauunternehmens Renggli inklusive Gebäudehülle und Innenausstattung vorgefertigt. Anschließend konnte der Schulbau in vier Tagen vor Ort montiert werden. Für eine spätere einfache Demontage sind alle statischen Verbindungen sowie haustechnischen Installationen gesteckt, geschraubt oder gekoppelt ausgeführt.
Kaskadische Treppe zieht Blicke auf sich
Laut Tschachtli ist die Bau- und Nutzerschaft sehr zufrieden mit diesem Vorzeigeprojekt, das aufgrund seiner kaskadischen Treppe an der Nordwest-Fassade, die die Mobilität in solch einem Gebäude sichtbar macht, alle Blicke auf sich zieht. Über diese Stiege aus Brettschichtholz in Lärche – die im ersten Entwurf als Stahlgerüst konzipiert, jedoch von der Schuldirektion als nicht sicher empfunden wurde – sind alle Räume zugänglich. Das später hinzugefügte Konzept der wellenförmigen, überdachten Treppenläufe, die sich an zwei Stellen längs der Fassade kreuzen, hat für Tschachtli einen spielerischen Aspekt. Durch diese äußere Anlage entsteht ein überraschender, grafischer Ansatz, der mit der relativen Monotonie der verwendeten Fertigmodule bricht. Metallnetze sichern die Treppenanlage anstelle von Geländern. Treppenstufen und Zwischenböden bestehen aus Blechprofilrosten. Das Dach setzt sich aus einer abgedichteten Dreischichtplatte mit einer dem Brandschutz geschuldeten Untersicht aus Faserzementplatten zusammen. „Aufgrund des für Schweizer Verhältnisse extrem engen Budgetrahmens mussten wir alle beheizten Räume zusammenfassen, um eine kleine Energiebezugsfläche zu schaffen. Deshalb besitzt das Gebäude auch keine Korridore und keine Eingangshalle. Also musste die Erschließung an der Außenseite erfolgen und wurde im Nachhinein sogar zum Identitätsstifter. Obwohl man es der Treppenanlage nicht auf den ersten Blick ansieht, kann auch sie in alle Einzelteile zurückgebaut und im Zuge einer späteren Nutzung wiederverwendet werden“, weiß der Planer. Bei der Heizanlage fiel die Wahl auf eine zentrale Luft-Wasser-Wärmepumpe. In Bezug auf den Brandschutz ist das Schulhaus als Gebäude geringer Höhe eingestuft. Die Klassenräume sind geschossweise zu jeweils einem Brandabschnitt zusammengefasst.
Auch der Innenausbau kann sich sehen lassen. Hier trifft das helle Holz für die Decken und Wände auf schwarze Fensterrahmen und einen Bodenbelag aus Kugelgarn. „Für Teppiche in den Klassenzimmern haben wir uns der Akustik zuliebe entschieden“, erklärt Tschachtli. Sehr nüchterne quadratische Deckenleuchten und eine passende Farbgebung mittels Vorhängen verleihen dem Ganzen eine behagliche Atmosphäre. „Wir sind stolz, natürlich in Bezugnahme auf alle Beteiligten, dass wir vor allem in Sachen Ökonomie und Ökologie ein sehr interessantes Bauwerk schaffen konnten“, freut man sich im VERVE-Architekturbüro.
Projektdaten
Standort: Biel / Bienne
Bauherrschaft: Einwohnergemeinde Biel / Bienne
Fertigstellung: 2017
Bauzeit inkl. Planung: 2016 bis 2017
Architektur: VERVE Architekten GmbH
Holzbau: Renggli AG
Holzmenge: ca. 280 m3
Tragwerksplanung: Josef Kolb AG
Bauphysik + Akustik: Prona AG
Nutzfläche: 785 m²