Der langlebige und flexible Holzbau
Mit ressourceneffizientem Bauen beschäftigte sich auch Oliver King in seiner Masterthesis beim Überholz-Lehrgang an der Kunstuniversität Linz. Er ging darin nicht nur der Frage, wie nutzungsflexible und dadurch langlebige Bauwerke gestaltet sein müssen, auf den Grund, sondern untersuchte auch, ob der Holzbau dafür eine geeignete Bauweise darstellt.
Nachhaltigkeit erfordert hohe Lebensdauer
Der zugrunde liegende Gedanke von Kings Arbeit ist, dass Gebäude nur dann nachhaltig sein können, wenn sie eine lange Lebensdauer aufweisen. Eine Voraussetzung dafür ist allerdings, dass sie ebenso flexibel in ihrer Nutzung sind. Dabei gilt es nicht nur, die kulturellen, gesellschaftlichen und ökonomischen Rahmenbedingungen sowie das lokale Umfeld bzw. den Bestandskontext zu beachten, sondern auch darum, „die Bauherren und Nutzer mitzunehmen“. Denn „wenn ein Gebäude nach 30 Jahren wieder abgerissen wird, ist es selbst in Holzbauweise nicht nachhaltig.“ Den Begriff Nachhaltigkeit, der in seinen Augen heutzutage ohnehin inflationär angewandt wird, verortet er als Architekt einerseits im Einsatz der Materialien, andererseits aber eben auch in der Qualität der Architektur. „Der mineralische Massivbau hat sich die Langlebigkeit schon lange auf die Fahnen geschrieben. In Teilen hat man sich diesbezüglich im Holzbau in der Vergangenheit in die falsche Richtung entwickelt. Das Bild der schnellen und günstigen Leichtbauweise hat sich in vielen Köpfen verankert – das versuche ich mit meiner Arbeit zu widerlegen. Von Vorarlberg bis Japan gibt es jahrhundertealte Holzbauten – man darf also die Langlebigkeitskomponente auch für sich beanspruchen.“
Wechselwirkung von Handwerk und Technologie
Für eine konsequent wandelbare und damit langlebige Architektur sei der Holzbau laut King jedenfalls geeignet. Der Holzskelettbau beispielsweise ermögliche durch die Trennung von Konstruktion und raumbildender sowie thermischer Hülle große Flexibilität. Darüber hinaus eigne er sich für die Wiederverwendung an einem anderen Standort und in einer anderen Struktur, was auch historische Beispiele belegen. In neuen Technologien und Fertigungsverfahren sieht King zudem großes Potenzial – allerdings nur in Verbindung mit hochstehendem Handwerk. „Ein ganz wichtiger Aspekt war für mich, dass die Qualität aus der Wechselwirkung von Handwerk und Technologie entsteht. Jeweils nur das eine wird den Holzbau nicht dorthin bringen, wo wir ihn alleine schon aus Nachhaltigkeitsgründen brauchen. Wir müssen beide Teilbereiche in eine Symbiose bringen – darauf wird auch im Überholz-Lehrgang großer Wert gelegt“, so King. In seinem Berufsalltag hat er immer wieder festgestellt, dass man, wenn man in Holz bauen will, auch in Holz entwerfen muss. Aufgrund der oftmals umfangreicheren Planung gegenüber der mineralischen Massivbauweise brauche man mehr Know-how von Anfang an. „Daher ist es wichtig, Zimmerer und Tragwerksplaner schon früh im Planungsprozess zu integrieren“, merkt er an.
Exemplarischer Entwurf vereint Bauweisen
In seiner Masterthesis hat King schlussendlich seine Erkenntnisse in einem exemplarischen Entwurf zur Anwendung gebracht. Es ging darum, nach der Leitidee des bürgerlichen Wohnhauses ein Gebäude zu entwerfen, das nicht nur drei Generationen, sondern auch den drei Nutzungen Wohnen, Arbeiten und Gastgeben Raum gibt. Unter Bedachtnahme auf die Erweiter- und Aufstockbarkeit sowie auf einen potenziellen Rückbau und die Wiederverwertung bzw. -verwendung, ergab sich so ein dreigeschossiger Baukörper. Auf den Kern aus zwölf Modulzellen folgt der Holzskelettbau mit seinen Deckenelementen und Pendelstützen. Für eine potenzielle spätere Erweiterung kann die Walmdachkonstruktion abgenommen werden. Die thermische Hülle aus vorgehängten Holzrahmenbauelementen und die Fundamentplatte aus Betonfertigteilen komplettieren das zerlegbare Gebäude. Auch die regionale Wertschöpfung spielte beim Entwurf eine Rolle. Während die modulare Holzsystembauweise mit Lowtech-Anspruch in Detail- und Knotenausbildung ein hohes Vorfertigungspotenzial in den heimischen Holzbaubetrieben gewährleistet, machen angepasste Konstruktionsspannweiten den Einsatz von regionalem Holz möglich. Zum effizienten Bauen leistet auch die Digitalisierung einen Beitrag. Die Bauteile sollen per CNC-Anlage gefertigt werden, die handwerkliche Qualität anschließend in der präzisen Fügung und Setzung zum Einsatz kommen.
Knotenpunkt der Arbeit
Zentraler Dreh- und Angelpunkt von Kings Masterthese ist der Knotenpunkt Decke-Wandanschluss. „Den habe ich natürlich nicht neu erfunden, sondern aus verschiedenen Projekten abgeleitet“, erklärt der Architekt. „Das Cree LifeCycle-System von Rhomberg, Hermann Kaufmann und MKP war sicherlich maßgeblich. Das dort angewandte modulare Holzhochhaus-System mit Pendelstützen habe ich auf einen kleineren Maßstab umgelegt – daraus ist die Holzrippendecke in meinem Entwurf entstanden, der Schallschutz wird über entsprechende Schüttungen und Schallentkoppelungen gelöst. Denn ein Credo des Überholz-Lehrgangs ist es, den Zement- und Stahlanteil einer Konstruktion auf ein notwendiges Minimum zu reduzieren – auch das spiegelt der Knotenpunkt wider.“ Spannend war für King, die brand- und schallschutztechnischen, weiteren bauphysikalischen, statischen, gebäudetechnischen und nicht zuletzt gestalterischen Anforderungen unter einen Hut und in Harmonie zu bringen. Vor allem der Brandschutz bot eine besondere Herausforderung. „Daraus ist dann die profilierte Zwillingsstütze entstanden. Während der hintere Teil brandschutztechnisch wirksam ist, nimmt der vordere Teil die Haustechnik auf und wirkt als raumzonierendes und strukturierendes Element“, führt er aus. Bei der handwerklichen Ausarbeitung der Konstruktion als 1:2 Mockup habe er selbst am meisten mitgenommen: „Architektur und Handwerk werden oft getrennt, obwohl beide derselben Quelle entspringen. Durch die enge Zusammenarbeit können Detaillösungen entstehen, die Gestaltung und Konstruktion sinnvoll vereinen.“
Ein Anstoß für seine Arbeit war das Buch „Bauen 3.0“ von Hubert Rhomberg. Darin wird eine Loslösung von Gebäudeprototypen und eine Entwicklung hin zu standardisierten Bauteilen gefordert. „Ein Ansatz mit dem sich Architekten vielfach schwer tun, worin für mich aber kein Wiederspruch zur kontextuellen Gestaltung einer Bauaufgabe liegt“, so King. Eine daraus abgeleitete, abschließende Überlegung von King: „Mit dem Baubescheid sollte auch ein Zerlegeplan einhergehen, in dem man sich Gedanken darüber macht, wie ein Gebäude ohne die darin konservierten Ressourcen zu vernichten, wieder abgebaut werden kann.“
Rautenfachwerk statt Platte – dank Mensch und Maschine
Gegen Ende seines Architekturstudiums in Innsbruck begann Wolfgang Schwarzmann in der Zimmerei von Michael Kaufmann zu arbeiten. Auch später kam er zwischen seinen Anstellungen bei verschiedenen Architekturbüros immer wieder in die Zimmerei zurück. „Der praktische Ausgleich zur Theorie hat mir extrem geholfen“, erinnert er sich zurück. Mittlerweile unterrichtet Schwarzmann an der Universität Liechtenstein und schreibt dort seine Dissertation mit dem Titel „Industrie 4.0 im Handwerk. Was für Veränderungen bringt die zunehmende Automatisierung in der Profession von Zimmerleuten?“
Spannungsverhältnis Tradition und Technologie
„Eigentlich habe ich mich bei Hermann Kaufmann an der TU München beworben, doch er wollte mich lieber in seinem Büro einsetzen. Bei ihm habe ich drei Jahre verbracht und wechselte dann zu Innauer Matt Architekten. Auch dort hat es mir gut gefallen, aber mein Doktorat war mir wichtiger und so kam ich an die Universität Liechtenstein“, erzählt Schwarzmann. Durch die Arbeit in der Werkshalle nahm er das Spannungsverhältnis Tradition – Technologie aus erster Hand wahr, einige der Zimmerer sagten immer wieder: „Das ist ja gar kein richtiges Handwerk mehr“. Die gleiche Entwicklung beobachtete Schwarzmann bei manchen Architekten und deren Arbeit mit BIM bzw. früher CAD. „Die Branche ist zwiegespalten, man sorgt sich, dass die Maschine bzw. der PC einem die Arbeit wegnimmt“, führt Schwarzmann aus. Das brachte ihn auf die Frage, was denn „richtiges“ Handwerk sei und wie es sich durch neue Technologien verändert.
Fallbeispiel Produktionshalle
Vor rund drei Jahren begann Schwarzmann dann seine Dissertation an der Universität Liechtenstein. Vor allem interessierte ihn, wie „schlaue Zimmerer unter Zuhilfenahme von Technologien etwas herstellen können, das sonst nicht mehr möglich gewesen wäre“. Für seine Doktorarbeit holte er den Wirtschaftsingenieur und Professor für Design digitaler Innovation Sascha Friesike ins Boot. Ein passendes Beispiel für seine Forschung fand er dank eines Kommilitonen, der ihm die Produktionshalle des Lehmbauspezialisten Martin Rauch empfahl. Obwohl es sich dabei um ein Lehmbaupionierprojekt handelt, verwendet Schwarzmann sie als Fallstudie für den Holzbau. Denn in der Halle wurde ein traditionelles Rautenfachwerk realisiert, das so nur durch den Einsatz eines Abbundroboters gefertigt werden konnte. „Der Zimmerer hat zu Beginn eine KLH-Platte vorgeschlagen, aber das hat Rauch nicht gefallen. Er wollte – auch als Hommage an die Region – das Rautenfachwerk einsetzen und hat immer wieder darauf beharrt. So kam schließlich der Zimmerer auf die Idee, den eigenen Abbundroboter dafür einzusetzen“, so Schwarzmann. Zwar hatte das Holzbauunternehmen mehr als den dreifachen Arbeitsaufwand, jedoch war der Materialpreis um rund ein Viertel geringer und so auch der Preis des Endprodukts nur marginal höher. Um die Maßhaltigkeit zu gewährleisten und weil Rauch Regionalität ein großes Anliegen war, fertigte man das Rautenfachwerk aus Duobalken. Auch die Materialeffizienz spielte eine Rolle: Im fertigen Fachwerkelement wurden ca. 3,6 m³ Holz verbaut, die Ausführung mit einer Platte hätte bei 6 cm weniger Aufbautiefe rund 5,4 m³ Holz verschlungen.
„Ornamente sind ein Verbrechen“
Der Architekt und Architekturkritiker Adolf Loos schrieb 1910 die Schrift „Ornament und Verbrechen“. Darin kritisierte er, dass ornamentale Verzierungen oder andere besondere künstlerische Gestaltungsversuche an einem Gebrauchsgegenstand eine Vergeudung von Arbeitszeit seien. Schwarzmann und Friesike stellten sich die Frage, ob der Einsatz einer Maschine für diese „überflüssige“ Arbeit etwas an Loos‘ Einstellung ändern würden – und sind der Meinung, er wäre beeindruckt. Denn das Rautenfachwerk in der Halle Rauch entspricht dem Kontext der regionalen Architektur, das werde auch von den Ortsansässigen so wahrgenommen. Zudem hätten das kollektive Denken von Bauherr und Zimmerer und der gemeinsame Einsatz der Kompetenzen eine schöne, material- und transportkilometersparende Lösung ergeben. Ein Kernpunkt ihrer Argumentation ist dabei, dass das Ergebnis erst durch die Expertise des Zimmerers zustande kam, denn das Fachwissen über Material und Umgang mit der Maschine liege schlussendlich bei ihm. Darüber hinaus ergibt der Einsatz des Rautenfachwerks Sinn. Bei 6 cm weniger Stärke wirkt es dank der Verzahnung dennoch wie eine Scheibe – was wiederum durch das präzise Arbeiten des Abbundroboters gewährleistet wurde. Durch den hohen Arbeitsaufwand bleibt zudem die Wertschöpfung bei der Zimmerei, die dadurch auch die Maschine besser nutzen bzw. abbezahlen und die Bürostunden erhöhen kann.
Was ist eure Expertise?
Was Schwarzmann mit seiner Doktorarbeit bewirken will? „Die Digitalisierung ist ein Prozess, der unsere Gesellschaft fortschreitend durchdringt. Die Frage, ob man ‚das‘ nun will oder nicht, stellt sich also nur noch bedingt. Es liegt daher an den Zimmerleuten hier ihre Expertise zu positionieren und für neue Herausforderungen anpassen zu können“ Deshalb will er den kollektiven Denkprozess beflügeln und Architekten ermutigen, sich mehr auf die Handwerker einzulassen und sie früher bzw. mehr in den Prozess zu integrieren. „Der Holzbau hat eine Tradition von 6-7000 Jahren. Diesen Wissensschatz gilt es in die Gegenwart zu holen und durch den Einsatz von modernen Technologien neue Verbindungstechniken zu entwickeln“, fordert Schwarzmann.
Sein Credo: „Was ist eure Expertise? Die Hauptaufgabe von Architekten ist die Funktion, Identität und Emotion des Gebäudes herzustellen – egal ob händisch am Reißbrett, oder digital mit CAD und BIM am Rechner. Beim Handwerker ist es dasselbe. Er muss sein Fachwissen über den Holzbau in den Prozess einbringen. Künstliche Intelligenz oder smarte Maschinen werden das so schnell nicht lösen können.“
Lesen Sie Teil 1 über Studentenprojekte an der TU Graz und der BOKU Wien.