Julian Trummer beschäftigt sich bei Leipfinger-Bader mit der Entwicklung von nachhaltigen Bauteilen. Er hat die Holz-Lehmdecken ursprünglich im Rahmen seines Architekturstudiums konzipiert. © Thomas Straub
Auf der einen Seite stellen sich im mehrgeschoßigen Bauen Brandschutzanforderungen, die in der Regel nur über eine ressourcenineffiziente Abbranddimensionierung oder die Zuhilfenahme von Beton und Gips gelöst werden konnten. Auf der anderen Seite warten Holzdecken aufgrund ihrer Leichtigkeit standardmäßig mit deutlich geringerem Schallschutz und thermischer Masse als Massivdecken auf. Gerade Letztere ließe sich aber sehr gut nutzen, um Temperaturschwankungen abzufedern und Gebäude im Sommer ohne Energieaufwand kühl zu halten.
Dieses Dilemma lässt sich an der Menge an haustechnischen Installationen in der vor allem mehrgeschoßigen Holzbaupraxis ablesen, ebenso an der geringen Verbreitung des Holzbaus in wärmeren Klimaregionen, wo sich mineralische Baustoffe ob ihrer Masse klimatisch meist noch viel vorteilhafter darstellen. Einen tatsächlichen Einfluss auf den Klimawandel kann eine Bauweise aber erst bei ansatzweise globaler Verbreitung erhalten. Umgekehrt ist der Umwelt aber auch nur dann geholfen, wenn die CO2-Einsparnisse aus der Bauphase später nicht durch einen erhöhten Energiebedarf wieder neutralisiert, oder schlimmer, um ein Vielfaches kompensiert werden.
Wirft man einen Blick auf die Materialeigenschaften, präsentiert sich Lehm als die ideale Ergänzung zu Holz: Neben seiner Nichtbrennbarkeit bietet er ein hohes Maß an (thermischer) Masse bei gleichzeitig geringem CO2-Ausstoß in der Herstellung. Seine Wasserlöslichkeit erlaubt zudem ein beinahe unbegrenztes Wiederanmischen ohne Qualitätsverlust. Aus gutem Grund spielten Holz-Lehm-Hybridkonstruktionen in der historischen Baupraxis eine zentrale Rolle und sind vor allem in Form von Staken-, Wickel- und Einschubdecken in Fachwerkhäusern, aber auch urbanen Gründerzeitbauten häufig anzutreffen.
Systembeschreibung
Geboren in einem Studentenprojekt an der Architekturfakultät der TU München, versteht sich die Holz-Lehm-Massivdecke als freie Übersetzung dieser historischen Lösungen in die technischen und ökonomischen Anforderungen der modernen Baupraxis. Das Grundgerüst bildet eine selbstständig tragende Holzbalkendecke, die nach den Regeln des modernen Holzbaus konstruiert und präfabriziert wird. In die Holzstruktur wird Lehm mit einer Rohdichte von 2100 kg/m3 gegossen, um Brandschutz, Schallschutz und thermische Masse zu generieren.
Das charakteristische Lehmgießverfahren wird dabei durch mineralische Zusätze ermöglicht, die für eine höhere Fließfähigkeit des Materials bei gleichem Wassergehalt sorgen. Damit lässt sich zu einem Bruchteil der Kosten eine Lehmverfüllung mit beinahe derselben Dichte und Festigkeit von Stampflehm herstellen. Die Additive sind dabei toxikologisch unbedenklich, in der CO2-Betrachtung beinahe vernachlässigbar und kompromittieren in keiner Form die Wiederflüssigbarkeit des Materials.
Nach dem Vergussprozess trocknen die Elemente für mindestens eine Woche an der freien Luft, bevor sie zur Baustelle transportiert und analog zu konventionellen Holzfertigteilen im Gebäude installiert werden. Somit entstehen keine neuen Komplexitäten außerhalb des Werks und das System kann von einem beliebigen Zimmerei-/Rohbauunternehmen verbaut werden.
Umsetzung: VLE Tirschenreuth
Seine erste Umsetzung erhielt die Holz-Lehm-Massivdecke in einem bemerkenswerten Verwaltungsbau für den Verband für Ländliche Entwicklung in Tirschenreuth in der Oberpfalz. Inspiriert von den Bauten der Gründerzeit planten Brückner & Brückner Architekten einen Holz-Massiv-Hybridbau, bei dem Beton und Stahl im Wesentlichen nur in der Bodenplatte zum Einsatz kommen. Vielmehr wird das Gebäude von folgenden Bauteilen gebildet:
- Holzfasergefüllte Ziegel mit 49 cm Stärke für die Außenwände
- Ungebrannte Rezyklatsteine, sogenannte Kaltziegel, aus Ziegelschleifstaub für die Innenwände
- Holz-Lehm-Massivdecken für Zwischendecke und Dach, in ersterem Fall in Kombination mit einem keramischen Estrich, dem sogenannten Estrichziegel
Zur Optimierung von Ressourceneinsatz und Rückbaubarkeit bleiben die Bauteiloberflächen sichtbar; einzig an der Fassade wird ein Außenputz aufgetragen und die Innenwandflächen werden hell geschlämmt. Durch das Zusammenspiel der hohen (thermischen) Masse der Bauteile mit den rational dimensionierten Fensteröffnungen kann nicht nur auf aktive Kühlung, sondern auch auf Verschattungselemente verzichtet werden. Damit sollen Energieverbrauch und Wartungsintensität des Gebäudes auf ein Minimum reduziert werden.
650 m2 Decken- und Dachelemente wurden für das Projekt bei Leipfinger-Bader in Pfeffenhausen gefertigt. Die Elemente wurden dabei auf verschiedenste geometrische und haustechnische Anforderungen angepasst, just-in-time angeliefert und vor Ort von der Rohbaufirma montiert. Durch den trockenen Einbau konnte nach der Montage direkt weitergemauert und der Gesamtbaufortschritt damit entscheidend beschleunigt werden.
Weitere Entwicklung
Zentraler Gedanke der Holz-Lehm-Massivdecke ist Flexibilität: Je nach Bauvorhaben kann das System in verschiedensten Konfigurationen konstruiert werden. Zudem ist es möglich, Beleuchtung, thermische Aktivierung oder Akustikabsorber in die Deckenelemente zu integrieren oder die unteren mineralischen Oberflächen werksseitig mit einem Lehmputz zu versehen.
Nachdem die Lehmverfüllung nicht tragend ausgebildet wird, kann das System aber bereits zu diesem Zeitpunkt flexibel eingesetzt werden; einzig für den Brandschutz ist im Status quo noch eine Dimensionierung auf Abbrand erforderlich.
Parallel laufen Untersuchungen zum Verhalten der Decken unter anderem in Bezug auf Schwingungen, Schallschutz und Brandschutz, wo das Entwicklungsziel bei einer Brandwiderstandsdauer von 90 Minuten liegt. Gesamtziel ist ein Deckensystem, das allein mit Holz und Erde sämtliche Anforderungen an Decken – Tragfähigkeit, Brandschutz, Schallschutz, thermische Masse – erfüllt, dabei aber gleichzeitig wirtschaftlich und in großer Zahl fertigbar ist. Damit soll eine ökologische Bauweise geschaffen werden, die aus dem Nischendasein des Lehmbaus ausbricht und für die breite Masse an Bauvorhaben erschwinglich umsetzbar ist.