Holzbau statt Greenwashing

Ein Artikel von Birgit Gruber | 18.07.2024 - 10:08

Sie seien Teil seiner DNA, wie der gelernte Tischler, Holztechniker und Förster im Interview erklärt. Diesen Weg wolle man auch in Zukunft konsequent weitergehen und neue Märkte nahe am Kunden erschließen. Denn die Nachfrage nach zertifizierten Vollholzelementen ohne Metall und Leim ortet er nicht nur in Europa.

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Herbert Niederfrininger, holzius-Geschäftsführer und echter Naturbursch © Thomas Köhler

Im Vinschgau in Südtirol produzieren Sie seit 15 Jahren Vollholzelemente. Der Holzbau hat sich in dieser Zeit enorm entwickelt. Inwiefern hielt holzius mit dieser Entwicklung Schritt?
Herbert Niederfriniger: Als wir das Unternehmen 2005 gründeten, galten wir noch als Spinner, da es schon zu Beginn auf Themen wie Nachhaltigkeit, Kreislaufwirtschaft und Wohngesundheit aufgebaut war. Heutzutage sind diese Schlagwörter aktueller denn je. Hier haben wir eindeutig einen Vorsprung. Deshalb brauchen wir uns in diese Richtung auch nicht verbiegen und können authentisch bleiben. Ich bin auch der Meinung, dass man das nachhaltige Denken in einem Unternehmen nicht von heute auf morgen umstellen kann. Das muss sich mit der Zeit entwickeln. Bei holzius ist es in der DNA und wir werden diesen Weg konsequent weitergehen.  

Sie bewegen sich stark im Segment Einfamilienhausbau. Wie stehen Sie zur Ambivalenz mit dem Themenfeld Bodenverbrauch?  
Beim Thema Flächenversiegelung müssen wir wirklich aufpassen. Deshalb habe ich vor 17 Jahren mein eigenes Haus als Bestandserweiterung gebaut und an eine Dachbegrünung gedacht. So kann ich der Natur den Boden, den ich unten weggenommen habe, oben wieder zurückgeben. Ich bin jedoch auch der Meinung, dass man das klassische Einfamilienhaus nicht komplett verteufeln sollte. Das wäre falsch, denn damit nehmen wir gerade der ländlichen Bevölkerung die Weiterentwicklung. Dies würde auch vermehrt zu einer Abwanderung aus dem ländlichen Bereich führen. Wir müssen künftig intelligenter bauen, die Nähe zur Natur wertschätzen und auf sie Rücksicht nehmen. Grundstücke lassen sich auch mit Bauen im Bestand oder Aufstockungen massiv aufwerten. 

Der Begriff Nachhaltigkeit hat viele Dimensionen. Was bedeutet er für Sie persönlich?
Wenn ich ehrlich bin, kann ich den Begriff so plakativ kaum mehr hören. Damit schmückt sich heute ja fast schon jeder. Wenn ich mir auf einschlägigen Messen die Stände der Aussteller anschaue, finde ich mittlerweile überall den Begriff. Da spüre ich ehrlich gesagt einen Widerstand. Viele Unternehmen bezeichnen sich nämlich als nachhaltig, obwohl sie es eigentlich gar nicht sind. Denn wenn man es wirklich sein will, genügt es nicht, wenn sich die Marketingabteilung mit dem Thema beschäftigt. Ich spreche hier von regelrechtem „greenwashing“. Das kann es meiner Meinung nach nicht sein. Das Mindset, die tiefe Überzeugung muss vom Top-Management kommen. Nur so kann es auf jeden Mitarbeiter übergehen und sich im Unternehmen etablieren. Hierbei sehe ich ganz klar die Herausforderung, sich von solchen Firmen zu unterscheiden.

Ihre Produkte sind Cradle-to-Cradle-zertifiziert?
Genau. Nachhaltigkeit bedeutet für uns, einen Gedanken zu Ende zu denken – bereits bei der Planung eines Objekts wird nicht nur an die Herstellung, sondern auch an die Nutzungsphase und die darauffolgende Rückführbarkeit in den Stoffkreislauf gedacht. Da auch Cradle to Cradle dieses ganzheitliche Konzept verfolgt, war es für uns nur logisch, alle Produkte 2022 nach dem von Prof. Dr. Michael Braungart entwickelten Standard zertifizieren zu lassen.

Welche Stationen müssen die Produkte dafür durchlaufen? Ab wann hat man diese Zertifizierung angestrebt?
Unsere Produkte wurden erstmals 2022 zertifiziert. Dabei muss man in fünf Kategorien bestimmte Kriterien erfüllen: (1) Materialgesundheit der eingesetzten Stoffe, (2) Kreislauffähigkeit des Produktes im technischen oder biologischen Kreislauf, (3) Nutzung von erneuerbaren Energien, (4) verantwortungsvolles Wassermanagement sowie (5) Einhaltung sozialer Standards. Ziel ist es, gesunde Produkte in immer wiederkehrende stoffliche Kreisläufe zu bringen. Wir haben den Goldstandard erreicht. In der Kategorie „Materialgesundheit“ erhielt unsere Produktgruppe sogar die höchstmögliche Auszeichnung Platin. Die Zertifizierung muss alle zwei Jahre erneuert werden. Gerade durchlaufen wir wieder den Prozess.

Welcher ihrer Kernmärkte ist auf dem Gebiet Cradle to Cradle Ihrer Meinung nach Vorreiter?
Dass wir nicht um Wiederverwertung und das Denken in Kreisläufen herumkommen, sollte ja eigentlich ein alter Hut sein. Doch gerade in der Bauwirtschaft wird oft noch gearbeitet, als gäbe es keinen Morgen. Die „Cradle to Cradle“-Bewegung will das ändern und Gebäude als Materiallager der Zukunft etablieren – mit inzwischen beachtlichen baulichen Ergebnissen, vor allem in Deutschland. Das Land ist sicherlich von Michael Braungart und der EPEA geprägt und hat meiner Meinung nach, neben den Niederlanden, die Nase vorn. In Italien zum Beispiel ist das Konzept noch eher unbekannt. Generell im deutschsprachigen Raum hat es immer größere Bedeutung.

Zur Person

Herbert Niederfriniger wuchs als Naturbursche auf einem Bauernhof am Vinschger Sonnenberg auf. Nach einigen Jahren als Tischler und der Ausbildung zum Holztechniker arbeitete er acht Jahre als Förster und vertiefte sein Verständnis für die Kreisläufe der Natur. Der eigene Hausbau wird zum einschneidenden Lebensereignis. Bei Niederfriniger veränderte es nicht nur das Privatleben, sondern auch die Karriere. Um seinen Ansprüchen an einen naturnahen, gesunden und nachhaltigen Wohnlebensraum gerecht zu werden, entwickelte er ein leim- und metallfreies Vollholzbausystem auf Grundlage von uralten handwerklichen Techniken und gründete 2005 gemeinsam mit einem Holztechnikerkollegen holzius. Heute ist das Unternehmen mit Sitz in Eyrs/Laas mit seinen ökologischen Cradle to Cradle™ Certified (Gold) Produkten und seiner Mission einer harmonischen Verbindung von Natur und Menschen aktueller denn je.