Überzeugung passiert am Objekt

Ein Artikel von Raphael Zeman | 13.07.2020 - 13:05
Dietsch_1_RZ.jpg

Univ.-Prof. Philipp Dietsch ist der neue Leiter des Arbeitsbereichs Holzbau an der Universität Innsbruck. © Raphael Zeman

Ihre Dissertation behandelte die Verstärkung auf Schub im Ingenieurholzbau. Werden Ihre Forschung und Lehre einen Schwerpunkt in diesem Bereich setzen?

Prägend für mich, aber auch den gesamten Holzbau war der Einsturz der Eishalle in Bad Reichenhall im Januar 2006. Fortan wollte ich mithelfen, das Vertrauen der Gesellschaft in den Holzbau wiederherzustellen, und beschäftigte mich speziell mit der Verstärkung und Robustheit von Gebäuden. Übergeordnetes Ziel meiner Lehre ist es, den Holzbau noch tiefer in einer sicheren, nachhaltigen und ästhetischen gebauten Umwelt zu verankern. In der Forschung können wir die kreativen Innovations- und Entwicklungsprozesse wissenschaftlich begleiten und gleichzeitig bei vereinzelten langfristigen Themen in die Tiefe gehen.

Welche Bereiche fokussieren Sie hier speziell?

Holz steht und fällt mit seinen Verbindungen. Diese sind bereits einer unserer Schwerpunkte und werden es auch weiterhin bleiben. Wenn wir uns die Holzprodukte anschauen, denke ich an eine Diversifizierung der vom Markt angefragten Produkte. Wir bauen derzeit großteils mit Fichte und Tanne, doch das Klima und, damit einhergehend, der Wald verändern sich. Wenn wir davon ausgehen, dass der Holzbautrend anhält, werden diese Holzarten mittel- bis längerfristig eher unter Druck geraten. Ich denke, hier müssen wir in die Breite gehen und versuchen, Holzarten miteinander zu kombinieren. Weitere Kernthemen sind für mich das Bauen im Bestand sowie Monitoring, gerade im Bereich der Holzfeuchte.
 
Wie stehen Sie zu den Themen Automatisierung und Robotik?

Es wird noch immer sehr viel in 2D geplant, ein Gebäude reagiert aber immer dreidimensional.
Die große Stärke von BIM sehe ich vor allem in der Archiv- und Dokumentationsfunktion, also der umfassenden Gebäudebetreuung über den gesamten Lebenszyklus hinweg. Eine spannende Frage ist für mich, wie in 20 Jahren geplant und gebaut wird. Derzeit boomt der Holzbau, gleichzeitig besteht ein Fachkräftemangel auf allen Ebenen vom Handwerker bis zum Akademiker. Ich denke, dieses Defizit wird eher zunehmen – Roboter auf der Baustelle könnten eine Antwort sein. Die Fähigkeiten des Menschen sind zu groß für viele physisch anstrengende, repetitive Arbeiten. Man sollte sich die Idee erlauben, dass diese zukünftig von sogenannten „Collaborative Robots“ übernommen werden könnten und sich der gut ausgebildete Handwerker auf komplexere Details und  Feinheiten konzentrieren kann.

Es gibt derzeit Überlegungen zur Materialeffizienz von Brettsperrholz (BSP). Wie stehen Sie dazu?

Hier haben wir noch viele Möglichkeiten für Einsparungen – beispielsweise, mehr Funktionen in BSP-Wänden zu implementieren. Da gibt es auch schon ein Forschungsprojekt, das sich mit der Nutzung der Lagen in BSP-Wänden befasst. Grundsätzlich finde ich aber: BSP war ein Quantensprung, der den Holzbau nach vorne katapultiert und das Ansehen der Bauweise als Innovationssektor in der Branche unterstützt hat. BSP bringt den Holzbau zurück in die Städte, indem es die Leute dort abholt, wo sie stehen.

Wenn wir vom Städtebau sprechen, kommen wir unweigerlich auf die Themen Aufstockung und Lückenschluss – Holz bietet hier viele Möglichkeiten.

Genau. Die Städte haben eine große Verantwortung, kostengünstiges Wohnen zu ermöglichen.
Aufstockung sollte man nicht nur auf dem Viergeschosser in Betracht ziehen. Der massive Flächenfraß durch Gewerbegebiete muss umfangreicher genutzt werden. Ein Beispiel hierfür wäre die von Florian Nagler geplante Parkplatzüberbauung am Münchner Dantebad. Hier war der Holzbau auch die wirtschaftlichste Lösung, da es wegen des knappen Wohnungsangebots vor allem um Geschwindigkeit ging. Eine für mich richtungsweisende Lösung ist die Aufstockung in der Wiener Flachgasse von
Dietrich | Untertrifaller aus dem Jahr 2007.

Bereits vor 13 Jahren wurden solche Projekte realisiert. Warum ist der Holzbau immer noch
verhältnismäßig unterrepräsentiert?

Die Baubranche ist konservativ und das ist in gewisser Weise auch verständlich. Die Akteure haben eine große Verantwortung im Sinne der Sicher- und Dauerhaftigkeit von Gebäuden und zögern daher oftmals, etwas Neues auszuprobieren. Ich denke, man muss holzbauferne Planer an der Hand nehmen und ihnen zu einem Erfolgserlebnis verhelfen – denn Überzeugung passiert am Objekt. Mir ist bewusst, dass die Branche bis Oberkante Unterlippe zu tun hat, aber es kann helfen, sich Zeit zu nehmen, um den Holzbau zu den Architekten und Fachplanern zu bringen. Konrad Merz beispielsweise nimmt sich dieser Rolle als Multiplikator an. Manchmal benötigen große Veränderungen aber auch eine neue Generation. Hier liegt meine Kernaufgabe: der florierenden österreichischen Holzbaubranche eine begeisterte, fachlich gut ausgebildete und verantwortungsvoll handelnde nächste Generation zu liefern.
 
Denken Sie, dass der Holzbau in der österreichischen Bildungslandschaft gut aufgestellt ist?

Ein sehr interessanter Aspekt ist für mich die HTL. Das ist ein Konzept, das in anderen Ländern nicht vorhanden ist und dazu führt, dass die am Bau Agierenden höher qualifiziert sind als in anderen Ländern. Im Hinblick auf Fachhochschulen und Universitäten ist der Holzbau im internationalen Vergleich gut vertreten. Was ich aber noch mehr fördern würde, ist die holzbauspezifische Ausbildung in der Architektur. Die TU Graz hat ja mit Tom Kaden einen Schritt in die richtige Richtung gesetzt. Denn am Ende sind die Architekten die Gruppe, die entscheidend ist – sie stehen als Erste mit den Bauherren in Kontakt und schlagen die spezifischen Fachplaner vor.

Sollte nicht auch die öffentliche Hand mit gutem Beispiel vorangehen?

Im aktuellen österreichischen Regierungsprogramm wird an vielen Stellen der Holzbau beziehungsweise nachhaltiges und ressourceneffizientes Bauen genannt. Ich glaube, wenn die Koalition ihr Programm ernst nimmt, muss sie dahin gehend Farbe bekennen und eine Leitungsfunktion übernehmen. Das kann sie in erster Linie bei öffentlichen Bauten und in weiterer Sicht durch das Ausschreiben von Forschungsprojekten.

Wäre nicht auch eine Förderung für Bauherren, die sich für Holz entscheiden, eine Möglichkeit?

Im Hinblick auf das EU-Wettbewerbsrecht, denke ich, wird das schwierig. Ich sehe die Lösung eher bei einer CO2-Abgabe, zumal die Baubranche für 30 bis 40 % des CO2-Ausstoßes verantwortlich ist. Eine weitere Option wäre eine Regelung wie die „Wood First“-Initiative in Kanada. Dort muss man begründen, warum ein Projekt nicht in Holzbauweise umsetzbar ist. Diesen Ansatz finde ich spannend, denn er hat auch ein pädagogisches Element, da sich Planer, die den Holzbau sonst nicht in Betracht ziehen, damit beschäftigen müssen.

Auf welche Erfolge an der Universität Innsbruck möchten Sie später einmal zurückblicken?

Mit meiner Lehre möchte ich Studierende vom Holzbau begeistern und sie zu qualifizierten Fachkräften ausbilden. Ein weiteres Ziel ist es, die Wissenschaft in den Bereichen Verbindungsmitteltechnik, Holzfeuchte und Robustheit beziehungsweise Systemeffekte so weiterzuentwickeln, dass unser
Institut in diesen Fragen weltweit zu den führenden gezählt wird. Zu guter Letzt ist mir ein vertrauensvoller und inspirierender gegenseitiger Umgang mit der Praxis wichtig. Das hat mich bisher befruchtet und das möchte ich gerne weitergeben. Österreich und Tirol sind hierfür ein besonders guter Nährboden. Der Holzbau erlebt derzeit einen gewissen Schub in der Öffentlichkeit. Ich denke, es ist Zeit,
als Branche gemeinsam den berühmten „Outreach“ zu suchen. Wir wissen um unsere Stärken – jetzt
müssen wir dem Rest der Welt davon berichten. 

Zur Person

Philipp Dietsch ist ein „Münchner Kindl“ und besuchte eine Waldorfschule mit Fokus auf Handwerk. So entwickelte sich bereits in jungen Jahren eine Leidenschaft für das Arbeiten mit Holz, die später um die Faszination für Architektur erweitert wurde. 1999 begann er das Studium Bauingenieurwesen mit der Vertiefung Holzbau an der TU München, wo er ab 2005 die Assistenz am Lehrstuhl für Holzbau und Baukonstruktion innehatte. 2012 wurde er nach seiner Dissertation „Einsatz und Berechnung von Schubverstärkungen für Brettschichtholzbauteile“ Teamleiter „Holzbau“ an der TU München, seit März  2020 ist er Nachfolger von Univ.-Prof. Michael Flach als Leiter des Arbeitsbereichs Holzbau an der Universität Innsbruck.