Ein „Schirmmützchen“ für die TU München

Ein Artikel von Raphael Zeman | 30.01.2023 - 08:56
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Die größte Besonderheit des neuen TUM-Campus: das 19 Meter auskragende Holzdach. © David Matthiessen

1972 wurden im Olympiapark die Olympischen Spiele unter dem Slogan „Licht, Frische und Großzügigkeit“ ausgetragen. Dieses Motto griffen Dietrich | Untertrifaller bei ihrem Entwurf für den Neubau des Campus der Technischen Universität München (TUM) auf und vereinten darin nicht nur Aspekte der Nachhaltigkeit und Funktionalität, sondern auch alle Anforderungen, welche die Bauherren im Wettbewerb gestellt hatten.

„Genau das, was wir wollen“

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© David Matthiessen

Vormals hatte die TUM ihre Standorte in ganz München verteilt. Der große Wunsch war es, alle Funktionen an einem Ort zusammenzufassen – und zwar direkt neben beziehungsweise statt den bereits bestehenden Hallen im Olympiapark. All das sollte bei laufendem Betrieb geschehen. Wie das möglich sein könnte, wusste die Bauherrschaft laut Heiner Walker, Architekt und Partner bei Dietrich | Untertrifaller, zu diesem Zeitpunkt selbst nicht. Als das internationale Büro seinen Wettbewerbsentwurf präsentierte, waren die Auftraggeber begeistert. Denn durch die Holzbauweise, den durchdachten Bauablauf und den ausgeklügelten Entwurf, gelang es den Planern, alle Wünsche der Bauherrschaft und zukünftigen Nutzer unter einem markanten Dach zu vereinen. Gar nicht so einfach, kommt doch zu den Nutzungsanforderungen noch die Tatsache hinzu, dass das gesamte Gelände des Olympiaparks als Ensemble unter Denkmalschutz steht. Deshalb galt es, alle Vorhaben im Außenraum und die äußere Erscheinung mit dem Denkmalamt abzustimmen.

Holz, wo es Sinn macht

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Der Transparenz des gesamten Ensembles begegnete die Bauherrschaft anfangs mit Vorbehalten. Die Vorhänge sind nun nur in Prüfungssituationen zugezogen. Ansonsten genießt man die zahlreichen Blickachsen. Der Sport ist omnipräsent und kann überall wahrgenommen werden. © David Matthiessen

Der neue Campus der TUM besteht aus 14 Sporthallen, zwölf Hörsälen, 15 Diagnostikräumen, fünf Werkstätten, 300 Büros, einer Cafeteria und Bibliothek. Je zwei Hallen- und Institutscluster sind entlang der zentralen Erschießungsachse namens „rue intérieure“ verortet. Diese durchzieht das gesamte Gebäude in der Ost-West-Achse und stellt dabei nicht nur die Wegverbindung zwischen Sport, Lehre und Forschung, sondern auch zahlreiche Blickbeziehungen zwischen den unterschiedlichen Bereichen und Funktionen her. Errichtet wurde der Campus zum größten Teil in Holz. Auf den weit spannenden Brettschichtholz-Trägern ist direkt der Dachaufbau der Hallen aufgebracht. Die Decken und Dächer der Institutsriegel bestehen aus Hohlkastenelementen. Zwischen Cafeteria (E1) und Sprintflur (EO) wurde eine Holz-Betonverbunddecke eingezogen. Hier wurde auf einen Hohlkasten verzichtet und eine schlankere Konstruktion gewählt – unter anderem um dem Sprintflur die maximal mögliche Höhe zu geben. Die rue intérieure und aussteifenden Treppenkerne, der große Hörsaal, die Kletterhalle sowie Untergeschosse wurden als Stahlbetonkonstruktion ausgeführt, ebenso die Tragkonstruktion für die Technikspangen zwischen den Sporthallen. Letzteres wäre beispielsweise auch in Holz möglich gewesen, doch man wollte den Baustoff materialgerecht und wirtschaftlich einsetzen, verweist Walker.

Herausragende Dachkonstruktion

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© Aldo Amoretti

Eine der größten Besonderheiten des neuen Campus ist das 19 m auskragende Holzdach, das einen Teil der Laufbahn im Außenraum vor dem Wetter schützt. Denn eine weitere Prämisse bei der Ausschreibung war, dass witterungsunabhängige Messungen auch draußen möglich sein sollen. Das von Walker liebevoll als „Schirmmützchen“ bezeichnete Dach wurde aus 28 m langen und 3,75 m breiten Fertigteilen zusammengesetzt. Rubner Holzbau fertigte dafür im Werk aus handelsüblichen Furnierlagenplatten und Brettschichtholzrippen, leistungsstarke Hohlkastenelemente mit sehr hoher Steifigkeit bei geringem Gewicht. Die lastverteilenden Träger plante man gemeinsam mit merz kley partner (mkp), die bereits in der Wettbewerbsphase involviert waren, flächenbündig in die Konstruktion. Gehalten wird das Dach durch schlanke Stahlstützen im Bereich der Fassade und weitere Zugstützen im hinteren Bereich des Daches. Eine leichte Überhöhung sorgt auch bei großem Schneedruck für eine Entwässerung in der gewünschten Richtung.

Für die Umsetzung im laufenden Betrieb mussten viele Aspekte gleichzeitig beachtet werden. Für jeden Bauabschnitt braucht es eine eigene Logistik, Fluchtwegkonzepte usw. Das hat das Projekt spannend gemacht und spricht am Ende für den Holzbau – weil man schnell und maximal störungsfrei bauen kann.


Architekt Heiner Walker

Herausforderung Logistik

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Architekt Heiner Walker, Dietrich | Untertrifaller © Dietrich | Untertrifaller

Ein Aspekt, der sich durch das gesamte Bauvorhaben zieht, ist die bis ins letzte Detail durchdachte Logistik. Denn der Campus wird bei laufendem Betrieb umgebaut. In einer ersten Bauphase wurden die kleinen Bestandshallen abgebrochen und die neuen Hallencluster, Mensa, Bibliothek sowie das Vordach errichtet. Ebenso waren die rue intérieure und der Großteil des Untergeschosses sowie die haustechnischen Anlagen Teil des ersten Bauabschnitts. Im zweiten Bauabschnitt werden nun die großen Bestandshallen abgerissen, die Institutscluster errichtet und die Außenanlagen fertiggestellt. „Für die Umsetzung im laufenden Betrieb mussten viele Aspekte gleichzeitig beachtet werden. Für jeden Bauabschnitt braucht es eine eigene Logistik, Fluchtwegkonzepte usw. Das hat das Projekt spannend gemacht und spricht am Ende für den Holzbau – weil man schnell und maximal störungsfrei bauen kann“, fasst Walker zusammen. Auch die Zusammenarbeit mit den Partnern ist dabei enorm wichtig. „Mit mkp hatten wir bereits in der Wettbewerbsphase einen großartigen Mitstreiter. Das ausführende Unternehmen bereits im Wettbewerbsentwurf zu integrieren, ist bei öffentlichen Aufträgen leider schwer möglich“, verweist er dabei. Sobald aber Rubner den Zuschlag bekam, plante man im „großartig funktionierenden“ Triumvirat das finale Endergebnis.

Faszination Holzbau

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© David Matthiessen

„Es ist faszinierend, was nach unserer akribischen Planung dann noch an Logistik beim Ausführenden ablief“, zeigt sich Walker begeistert und berichtet von der Werksbesichtigung bei Rubner in Sankt Pölten: „Die Vorfertigung war eine Wissenschaft für sich. Für den statischen Nachweis muss alles dokumentiert werden, jede einzelne Leimdose wird notiert – hier wurde höchst professionell gearbeitet“, erklärt er den Aufwand. Und nicht nur aufseiten der Projektbeteiligten sorgt das Bauvorhaben für staunende Begeisterung. Auch die Nutzer – also die TUM – sind fasziniert und fragen Walker, wann die nächsten Holzbauteile kommen. Denn die Errichtung bei beengtem Raum und laufendem Betrieb sorgt für Aufsehen, das will man sich nicht entgehen lassen.

Für Walker selbst macht vor allem die Transparenz das Projekt aus. Der langgestreckte Zweigeschosser mit den Außenmaßen 185 x 153 m bietet nicht nur auf der rue intérieure weite Ausblicke, sondern auch zwischen den unterschiedlichen Bereichen. Weil der Bauherr diesbezüglich anfangs Vorbehalte – Stichwort Konzentration der Studierenden – hatte, wurden so die zahlreichen Glaswände mit Vorhängen ausgerüstet. „Diese sind jetzt aber nur beim Prüfungsbetrieb zugezogen, denn man schätzt die Blickbeziehungen“, erklärt Walker.

Projektdaten

Standort: München
Bauherr: Staatliches Bauamt München
Bauzeit: 1. BA: 2017 bis 2021, 2. BA: 2021 bis 2023
Architektur: Dietrich | Untertrifaller
Statik: merz kley partner
Holzbau: Rubner Holzbau
Holzmenge: 5200 m³
Bruttogeschossfläche: 42.200 m²