Zukunft: Holzbau

Ein Artikel von Kathrin Lanz | 15.07.2024 - 10:30
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Internationales Aufsehen erregt im Moment der Automobilkonzern Volvo mit der Eröffnung der „World of Volvo“ in Göteborg. Geplant, gefertigt und montiert haben den Bau Experten aus Altheim  © Christian Badenfelt

Die Zukunft des Holzbaus hat viele Facetten. Klar ist, dass ein Pool an österreichischen Unternehmen jene Zukunft im In- und Ausland maßgeblich mitgestaltet. International anerkannte Tragwerksplaner, auf Holzbau spezialisierte Architekturbüros und nicht zuletzt Holzbauunternehmen, die mit präziser Ausführung und Handwerkswissen dafür Sorge tragen, dass die geplanten Bauwerke dauerhaft sind. Eines dieser Unternehmen ist Wiehag Timber Construction. Die Liste weltweiter Referenzprojekte scheint schier endlos, darunter ganz aktuell der Frankfurter Timber Pioneer von UBM Development oder die World of Volvo von Henning Larsen Architects in Göteborg. In Bau sind momentan ein 180 m hoher Hybridturm in Australien sowie das kürzlich beauftragte „Cube House“ in Amsterdam. In der Dichte der komplexen internationalen Projekte besitzt Wiehag ein Alleinstellungsmerkmal. Wir haben uns beim Altheimer Familienbetrieb erkundigt, wo die Reise für den Holzbau hingeht.

Früher spielte es für Entscheidungsträger keine Rolle, wie groß der CO2-Fußabdruck eines Gebäudes ist. Und jetzt stehen wir am Anfang einer Entwicklung, in der dieses Argument zum Hauptkriterium wird.

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Erich Wiesner, Wiehag
© Monika Loeff
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Sonderbauteile liegen Wiehag besonders am Herzen. © Wiehag

Wir sitzen zum Gespräch in einem oberösterreichischen Produktionsbetrieb, der abseits von Standard-Brettschichtholz Projektbauteile produziert. Hier geht es nicht um Volumen – man produziert 100.000 m3 im Jahr – sondern um „Maßanzüge“ für Pionierbauten, wie es Erich Wiesner, Geschäftsführer von Wiehag, ausdrückt. Über die Fertigung hinaus ist der Altheimer Familienbetrieb in Engineering und Beratung, Logistik und Montage tätig. Der Holzbau sei jüngst in eine ganz neue Phase getreten, weil Architekten und Planer aufgerufen seien,

CO2-neutrale Gebäude zu bauen, gibt Wiesner seine Einschätzung preis. „Früher spielte es für Entscheidungsträger keine Rolle, wie groß der CO2-Fußabdruck eines Gebäudes ist. Und jetzt stehen wir am Anfang einer Entwicklung, in der dieses Argument zum Hauptkriterium wird. Deshalb hat der Holzbau heute eine massiv bessere Ausgangssituation als noch vor zehn Jahren. Ich bin überzeugt, die Wettbewerbsfähigkeit des Holzbaus wird sich auch in Zukunft verbessern.“

Beginn der Internationalisierung

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Logistikzentrum Edeka in Bayern: Auf über 100.000 m2 Hallenfläche wurden 14.000 m3 BSH verbaut. Die höchste Stütze misst 36 m. © Fotografie Mayer

Soweit eine erste generelle Einschätzung. Die Vehemenz dieser Überzeugung wird umso nachvollziehbarer, je tiefer man in die Unternehmensgeschichte eintaucht. „Unsere Kernmärkte waren von jeher Österreich und Deutschland. 2005 sind wir dann – für einen Holzbaubetrieb damals noch extrem unüblich – in die Internationalität übergegangen“, erzählt der Geschäftsführer von einer prägenden Entscheidung. Wiesner führt seit den 1990er-Jahren den im oberösterreichischen Altheim ansässigen Betrieb in fünfter Generation. Um das Jahr 2000 stellte man eine riesige Produktionshalle auf die Wiese, was einen immensen Kapazitätssprung nach sich zog. Wiesner musste danach einsehen: Diese Fabrik ist für den österreichischen Markt zu groß. „Es hat viel zu wenig Großprojekte gegeben. Deshalb orientierten wir uns vorerst Richtung UK, wo wir auf Architekten gestoßen sind, die unbedingt in Holz bauen wollten. So ist es mit den Top-Architekturbüros losgegangen.“ Norman Foster und Richard Rogers waren die ersten namhaften internationalen Architekten, mit denen man Projekte realisierte. So entstanden in einem Land ohne Holzbautradition und quasi ohne Zimmereibetriebe nach und nach Holzbaugroßprojekte. Von da an nahm die Internationalisierung ihren Lauf.

Es ist unsere Leidenschaft, die Grenzen im Holzbau immer wieder aufs Neue zu verschieben

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Johannes Rebhahn, Wiehag
© Wiehag

Hallenbau: im intensiven Preiswettbewerb

Diese Internationalisierung und der Fokus auf den Objekt- und nicht auf den Wohnbau halfen, die schlechte Baukonjunktur zu überbrücken. „Wir haben den Einbruch nicht in dieser Dimension gespürt. Bis Mitte 2023 gab es eine massive Überhitzung der Nachfrage und wir mussten viele Aufträge ablehnen. Bis dahin konnten wir uns aussuchen, welche Aufträge wir annehmen und welche nicht. Diese Situation hat sich sicherlich verändert. Natürlich sind wir auch den intensiven Preiswettbewerben ausgesetzt, die vor allem im Hallenbau in Deutschland erheblich sind.“ 

Vom Klimawandel bedroht

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Eis- und Sporthalle Kviberg: Sieben Reihen von jeweils zwei doppelt verleimten BSH-Bögen mit jeweils 80 Meter Länge überspannen die Halle. Um die Kräfte der Bögen aufzunehmen, befindet sich an jedem Ende und in der Mitte ein dreieckiges Betonfundament. © Wiehag

Auch abseits des Hallenbaus gibt es den Holzbau jahrhunderte lang. Aber in wirklich großen Gebäudestrukturen ist er in Österreich aktuell eine Randerscheinung. Warum? „Das wurde ich schon oft gefragt und bin der Sache nachgegangen. Eine mögliche Erklärung ist, dass man sich in Ländern wie Australien massiv vom Klimawandel bedroht fühlt und deshalb alles Mögliche unternehmen möchte, um im Bauwesen der bedrohlichen Erderwärmung entgegenzuwirken.“ 

Ingenieurholzbau verlagert sich in die Vertikale

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Zollinger-Halle aus dem Jahr 1928: Die unternehmenseigene Produktionshalle sollte etwas Besonderes werden. © Wiehag

Während Wiesner das Bild der firmeneigenen Produktionshalle in Zollinger-Bauweise aus dem Jahr 1928 zeigt, verdeutlicht er, wo die Wurzeln von Wiehag liegen. „Die Gründung unseres Unternehmens erfolgte 1849 als Zimmereibetrieb“, betont er. Zimmereibetriebe beschreibt er generell als innovativ und mutig. „In jeder Generation haben wir uns immer wieder etwas getraut, das unüblich war. 1966 hat mein Vater die Klagenfurter Messehalle mit 100 m Spannweite gebaut.“ In der Ära von Sohn Erich reißt diese Tradition nicht ab. „Für das Logistikzentrum von Edeka haben wir 15.000 m3 BSH geliefert. Ich kenne keinen größeren Einzelauftrag. Als ich den Betrieb von meinem Vater übernommen habe, waren 15.000 m3 die Jahresleistung.“ Derzeit liegt die Jahresleistung bei etwa 100.000 m3 BSH. Innerhalb dieses Volumens ist die Liste der renommierten Holzbauprojekte immens. Allein jüngere Beispiele, wie die „World of Volvo“ in Göteborg oder die Nanyang Technical Universität in Singapur, geben Hinweise, in welche Dimensionen der Holzbau immer weiter vordringt. „Der klassische Ingenieurholzbau kommt ja aus der Horizontalen. Es ging um möglichst große, freitragende Spannweiten.“ Die Richtung, in die man sich nun bewegt, liegt, wie bei dem Logistikzentrum von Edeka, auch immer öfter in der Vertikalen. Die höchste Stütze misst dort 36 m. Auch dieses Segment bedient Wiehag. Mit dem 87 m hohen Ascent Tower in Milwaukee darf sich Wiehag damit schmücken, am höchsten Holzhybriden der Welt mitgearbeitet zu haben. „Über das Rennen um das höchste Holzhochhaus kann man streiten“, schaltet sich Johannes Rebhahn, der bei allen genannten Projekten involviert war und den internationalen Holzbau bei Wiehag verantwortet, ein. „Aber uns macht es Spaß.“

Nächstes Megaprojekt: 180 m in Sydney

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Atlassian in Sydney: Im Herbst beginnt man in Altheim mit der Produktion für den 180 m hohen Bau. © SHoPuBVN

Im Herbst startet die Produktion für das nächste Megaprojekt: In Sydney entsteht der 180 m hohe Atlassian Tower. Innerhalb von sieben sogenannten Habitaten liegen jeweils vier Geschoße reinen Holzbaus. Insgesamt wird der Turm 33 Geschoße messen. Statisch trägt das Gebäude ein Stahlkonstrukt, der Holzeinsatz ist trotzdem immens: 3800 m3 Brettschichtholz von Wiehag sowie 7500 m3 Brettsperrholz von Stora Enso fließen in das Projekt. Wiehag ist für die statische Berechnung, das 3D-Produktionsmodell, die Produktion sämtlicher Holzbauteile inklusive Verbindungsmittel und die Lieferung nach Sydney beauftragt. Das BSH produziert man in Altheim selbst und das BSP wird von Stora Enso zugekauft. Montiert wird von einem australischen Generalunternehmer. Ende 2026 rechnet man mit der Fertigstellung. „Freaks sind wir alle“, kommentiert Rebhahn die lange Liste der außergewöhnlichen Projekte mit Atlassian on top. „Und wir stehen alle geschlossen 100-prozentig hinter den Projekten.“ Aus Erfahrung ist das in anderen planerisch tätigen Unternehmen, die sich dem Holzbau zum ersten Mal zuwenden, nicht immer so. „Wir erleben viele Projekte, bei denen ein Teil des interdisziplinären Teams dagegen schießt. Dann funktioniert es nicht mehr. Es sind oft sehr individuelle Gründe, warum ein Holzbauprojekt am Ende der Planungsphase doch scheitert.“ 

Projekte mit Stararchitekten: keine Kompromisse

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Im Amsterdamer Viertel „Zuidas“ entsteht das „Cube House“.  Die Holzbaumontage beginnt im August. © SO-IL

Die Zusammenarbeit mit Architekturgrößen wie dem Pritzker-Preisträger Toyo Ito, den Dänen Henning Larsen Architects oder Kengo Kuma sind also täglich Brot. Wie viel Respekt bringt man dabei der technischen Herausforderung entgegen? „Nervös macht es uns nicht mehr. Aber natürlich, Respekt ist vorhanden. Wir sind Techniker. Die Bauten müssen funktionieren“, sagt Rebhahn. Die Zusammenarbeit mit Stararchitekten hieße: keine Kompromisse. „Wenn eine Schattenfuge an einer Stelle vorgesehen ist, dann muss die Schattenfuge da sein. Man lernt, damit umzugehen“, erzählt der studierte Bauingenieur, der seit 22 Jahren im Unternehmen ist. „Uns freut es, die Grenzen im Holzbau immer wieder aufs Neue zu verschieben.“ Jahrzehntelang tradiertes Handwerkswissen sowie permanentes Lernen im Team würden den Grundstock für realisierte Großprojekte bilden. „Darüber hinaus aktivieren wir die Schwarmintelligenz in Harmonie zwischen Jung und Alt.“ Ein weiteres Erfolgsrezept liege im Ausgleich zwischen Herausforderungen und Aufgaben im klassischen Ingenieurholzbau. „Man kann nicht jahrelang nur ‚Rock ‘n‘ Roll-Architektur‘ machen, dazwischen braucht es auch wieder einmal eine Satteldachhalle im Mühlviertel.“

Geht es nach Wiesner, wird es in Zukunft nicht darum gehen, einzelne Gebäude in Holz zu bauen, sondern ganze Stadtquartiere. Ein Beispiel dafür ist das Büroquartier Friedrich und Karl in Köln-Niehl. HKR+ Architekten mit Wiel Arets Architects sind für die Planung verantwortlich. Wiehag ist derzeit schon an der Planung, mit der Produktion wird im Frühjahr 2025 begonnen. „Gerade kam auch ein Auftrag für das gewaltige Berliner Entwicklungsgebiet Siemensstadt herein.“ Bis 2030 investiert Siemens auf einem Teilgelände der „alten Siemensstadt“ 600 Millionen Euro in eine Wohn- und Arbeitswelt.

Rennen um höchsten Holzbau geht weiter

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© Fotografie Mayer

Wo liegt also die Zukunft für den Holzbau aus Altheimer Sicht? „Erstens wird sich der Holzbau flächig weiter ausbreiten, zweitens dringt der Holzbau in neue Anwendungsgebiete und Dimensionen vor“, ist sich Wiesner sicher. „Als Beispiele für neue Anwendungsgebiete kann man beispielsweise große Parkhäuser nennen, die heute in Holz gebaut werden.“ Bei jenem im oberösterreichischen Weng mit 500 Stellplätzen war Wiehag beteiligt. „Weitere Wachstumsfelder betreffen sicher den Modulbau und das Segment Wohnbau.“ Und für Rebhahn steht fest: Das Rennen um den höchsten Holzbau setzt sich fort. Für ihn sind 150 m als reiner Holzbau in Kombination mit einem Stiegenhauskern in Beton möglich und wirtschaftlich sinnvoll. „Aber das volumsmäßig relevanteste Segment wird sich bei rund 45 m hohen Holzhochhäusern einpendeln“, denkt der Bauingenieur. Auch er sagt: „Grüne Quartiere sind die Zukunft.“

Für Wiesner gehen der marktseitige Schrei nach CO2-Reduktion und der technische Fortschritt im Holzbau logisch einher. Aber gerade, weil das Nachhaltigkeitsthema in aller Munde ist, „hat der Holzbau heute eine massiv bessere Ausgangssituation. Das heißt: Ich bin auch für die Zukunft positiv“.